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Was sind die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz im Recruiting? Wo fange ich an, wenn ich KI-Lösungen in meinen Recruitingprozess aufnehmen möchte?
Zu diesem Thema haben wir mit keinem geringerem als Ivan Evdokimov, Lead Tech Recruiter & HR Innovator, gesprochen.Neben spannenden Insights zu seinen Projekten, Tipps zu den besten Tools und einer kritischen Auseinandersetzung mit KI im Recruiting, liefert Ivan viele spannende Impulse, um sich weiterführend mit dem Thema auseinander zu setzen.
"Wer nicht wagt, der nicht gewinnt." - Daher, hören Sie rein, falls Sie die Thematik interessiert und Sie spannende Tipps vom Experten haben möchten.
Transkript
Luisa Spardel: Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge unseres Podcasts. Heute wird es um das spannende Thema künstliche Intelligenz im Recruiting gehen. Ein Thema, welches ich persönlich sehr spannend finde und generell für viel Gesprächsstoff sorgt. Um tiefer in die Materie eintauchen zu können, habe ich mir einen Experten auf dem Gebiet ins virtuelle Podcast Studio eingeladen, und zwar Ivan Evdokimov, Lead Tech Recruiter und HR Innovator. Hallo Ivan, ich freue mich, dass du heute dabei bist.
Ivan Evdokimov: Hallo Luisa, vielen Dank für die Einladung, ich freue mich ebenfalls.
Luisa: Super, ich mich auch. Lass uns doch einfach mal direkt mit einer Vorstellung starten. Wie bist du ins Recruiting gekommen und welchen Schwerpunkt hast du?
Ivan: Ich beschäftige mich leidenschaftlich mit Talent Acquisition Management. Sowohl als Tech Recruiter, als auch Coach und Dozent. Als Psychologe bin ich grundsätzlich von dieser Idee begeistert, für jeden Menschen ein passendes Unternehmen, eine passende Position, passende Aufgabe zu finden. Direkt nach der Uni bin ich ins Recruitment bei der Deutschen Bahn eingestiegen, damals 2011, weil es eine hervorragende Möglichkeit ist, das Unternehmen, die Produkte und relevante Stakeholder schnell kennenzulernen und somit auch Mehrwert zu generieren.Nach einem Ausflug ins Talent Management, Führungskräfteentwicklung, Karrieremanagement, Performance-Management in einem Transport-/Logistikunternehmen, bin ich dann 2017 wieder zurück ins Recruitment gekommen um bei L'Oréal digitale HR Transformationen einzuleiten. Dazu werde ich später noch ein konkretes Beispiel nennen. Im Moment allerdings baue ich Technical Position Management bei Uniper auf, beschäftige mich unter anderem mit Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz in Human Resource Management.
Luisa: Ja, spannend. Das leitet super über in die erste Frage. Künstliche Intelligenz im Recruiting ist ein Thema, was schon seit längerem heiß diskutiert wird. Trotzdem weiß ein Großteil aller Personaler oder auch Recruiter nicht wirklich viel über das Thema. Für viele ist es vielleicht nicht greifbar oder sogar auch etwas Angsteinflößend. Welche Erfahrung hast du mit künstlicher Intelligenz im Recruiting gemacht?
Ivan: Also spannend finde ich, dass es hier große kulturelle Unterschiede gibt. Wenn wir in Deutschland darüber diskutieren, wann, für welche Zielgruppe, mit welcher Technologie KI implementiert werden soll, gehen die HRler in Asien einfach vor und machen das. Sie lernen dabei viel über die KI und passen die Lösung entsprechend an. Dadurch ist es auch greifbarer und agiler als bei uns. Trotzdem hält niemand einen Recruiter davon ab, sich mit diesem Thema zu beschäftigen: Die Bibliothek, auf YouTube in der LinkedIn Community oder eben auf Podcasts wie dieser hier. Wer glaubt den wirklich daran, dass Technologie wie künstliche Intelligenz keine Rolle in HR spielen wird.Ich persönlich bin neugierig in welchem Prozessschritt künstliche Intelligenz, sowohl die Unternehmen als auch die Kandidaten voranbringt. Wie cool ist es denn zum Beispiel, als Bewerber sofort Antworten auf einfache, aber eben wichtige Fragen von einem Chatbot zu bekommen? Warum sollte nicht mit ein paar Klicks ein Termin für ein Interview ohne viele E-Mails oder Anrufe mit HR vereinbaren können? Das funktioniert eigentlich schon jetzt ganz gut. Aber auch komplexere Aufgaben wie das Matching von Kandidaten zu Stellen können durch künstliche Intelligenz immer besser imitiert werden.Je weiter wir Menschen diese spannende Technologie entwickeln, um uns Recruiter zu unterstützen, desto wichtiger ist es aber auch, solche Change Management Maßnahmen zu implementieren. Dazu gehört für mich zum Beispiel ein klarer Plan, wie künstliche Intelligenz eingesetzt werden soll und warum eigentlich. Wenn dieser Plan dann auch kommuniziert wird und die Mitarbeiter geschult werden, dann überwiegt die Freude und die Neugierde statt Skepsis und Angst, wie du es in deiner Frage formuliert hast. Dann erst sieht und versteht der Recruiter nämlich den großen Mehrwert von KI.
Luisa: Das ist spannend, denn ich habe eine Studie gefunden, die ich dir einmal kurz vorstellen will, und zwar von der Universität Kassel über die Akzeptanz von Recruitern gegenüber dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Personalvorauswahl. Die hat herausgefunden, dass 58 % der befragten Recruiter die fehlende Transparenz von KI-Systemen zu Widerstand führt und die Nutzung von KI auch verhindert. Wie erklärst du dir das, obwohl so viele Recruiter, und zwar 90 %, wenig bis gar nichts über KI im Recruiting wissen, aber 58 % so konkrete Bedenken äußern können? Wie passt das zusammen?
Ivan: Also das überrascht mich tatsächlich gar nicht. Ich möchte erstmal den Fokus ein bisschen von Recruitern wegnehmen und auch auf Menschen an sich eingehen. Nehmen wir dieses Beispiel Fliegen: Auch beim Fliegen wird die Anzahl an Piloten kontinuierlich reduziert, weil der Autopilot deutlich zuverlässiger mittlerweile geworden ist. Trotzdem ist die Mehrheit der befragten Passagiere dagegen, den Co-Piloten abzuschaffen. Das macht deutlich, dass hier die Vorbehalte überwiegen. Sowohl gegen das Ein-Personen-Cockpit als auch gegen komplett pilotlose Flugzeuge. Klar ist die Transparenz eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen und erleichtert uns Menschen eine Veränderung zu akzeptieren und umzusetzen. Das meinte ich gerade mit diesen Change Management Maßnahmen. Aber wie wir am Beispiel Fliegen sehen, geht es auch ohne. Oder weißt du Luisa, wie genau ein Flugzeug funktioniert?
Luisa: Nein, leider nicht.
Ivan: Trotzdem fliegen wir damit. Und wahrscheinlich werden die Flugtaxen auch noch vor dem autonomen Fahren Realität werden. Die Technologie dafür ist einfach atemberaubend. Um wieder auf den Recruiter zurückzukommen, ich denke nicht das Recruiter zwingend tiefes Verständnis von neuronalen Netzen und Deep Learning haben sollten, um künstliche Intelligenz zu nutzen. Das schadet die doch sicherlich nicht, bei der Auswahl und Implementierung dieser Technologie um Hiring Manager, Betriebsrat und nicht zuletzt auch Kandidaten von der Qualität dieser Lösung zu überzeugen. Ich finde, hier sind Bedenken sogar hilfreich und erfolgskritisch, denn nur so kann die KI Lösung ein zielgerichtet und bedarfsorientiertes Werkzeug sein und weiterentwickelt werden.
Luisa: Du hast es vorhin schon kurz angesprochen, dass du auf ein konkretes Beispiel eingehen möchtest. Das würde ich jetzt gerne tun, denn während deiner Zeit bei L'Oréal hast du erfolgreich künstliche Intelligenz in den Recruiting Prozess eingeführt. Kannst du uns durch das Projekt führen und den Prozess erläutern?
Ivan: Klar. Um den Bewerbungsprozess der Praktikanten noch fairer, effizienter und schneller zu gestalten, ersetzt die künstliche Intelligenz in der Vorauswahl sowohl die Telefoninterviews als auch die teuren Online-Tests für kognitive Fähigkeiten, aber auch für digitales Marketing zum Beispiel, als auch die Assessment-Center, weil das eine sehr wichtige Talentpipeline für L'Oréal ist. So erhält jeder Kandidat, nach dem Hochladen des CVs, eine automatische Einladung zur Beantwortung von drei Kompetenzfragen, durch Seedlink, das ist der Provider mit dem wir das aufgebaut haben. Haben dann die Antworten und das CV den Recruiter neugierig gemacht, geht es dann weiter mit dem finalen persönlichen Gespräch im zukünftigen Team in Düsseldorf. C'est ça. Oder soll ich doch ein wenig technischer werden Luisa?
Luisa: Ja, gerne. Ein wenig spezifischer wäre glaube ich ganz spannend für uns alle.
Ivan: Okay. Also, zunächst die Frage, wie die Kompetenz gemessen wird. Seedlink lernt aus der Erfahrung und nutzt Algorithmen um menschliche Entscheidungen durch eine Sprachanalyse nachzuahmen. Als Technologie machen das die neuronalen Netze möglich. Wichtig ist aber zu verstehen, dabei steht nicht der einfache Vergleich zwischen einzelnen Wörtern im Vordergrund, also kein einfaches Matching, sondern eher die Beziehung zwischen diesen Wörtern. Die neuronalen Netze lernen diese Beziehungen in verschiedenen Schichten unterschiedlich zu gewichten, um so zu einem bestmöglichen Ergebnis zu kommen. Und das bestmögliche Ergebnis wird erreicht, durch Feedback und zwar aus den Fachbereichen zu den einzelnen Kompetenzen und so lernt Seedlink und passt eben diese Gewichtung entsprechend kontinuierlich an, um noch genauer Vorhersagen machen zu können. Wir sprechen hier also von Supervised-Learning. Wichtig an dieser Stelle vielleicht auch noch zu verstehen, dass nicht nur Top-Performer in die Stichprobe einfließen, sondern eine ganze Bandbreite und so konnten wir eine prognostische Diversität von Punkt 7 erreichen. Es ist innerhalb der kürzesten Zeit natürlich irre hoch und damit trifft die künstliche Intelligenz die Entscheidung besser, als die etablierten Methoden wie Assessment-Center oder eben kognitive Tests, nahe Schmidt und Hunter. So viel zum "Wie" das gemessen wird. Was aber mindestens genauso wichtig ist, ist was. Also schauen wir uns an, was wird denn mit diesen drei Fragen gemessen? Ich habe hier eine Frage mitgebracht, Moment. Also ich zitiere, "Beschreib bitte eine Situation, in der du in kürzester Zeit etwas Neues lernen musstest. Wie bist du dabei vorgegangen? Was war das Ergebnis und wie könntest du das Gelernte bei L’Oréal einbringen?" Zitatende. Das ist eine der drei Fragen und neben der Kompetenz, schnelle Auffassungsgabe, nach Lominger kommt Ferry, steht auch Learning-Agility in der Frage drin und Learning-Agility ist als ein wichtiger Potential-Indikator in der Diagnostik bekannt. Solche Fragen werden bereits seit Jahren in den Interviews und Assessment-Centern gestellt, es ist jetzt nichts neues. Nun bietet sich aber mit der KI die Möglichkeit, eine datenbetriebene und objektivere Auswahl zu treffen. Also für Neugierige unter euch, die das hören, mehr Infos habe ich in meinem Artikel auf LinkedIn zusammengefasst, viel Spaß beim Lesen und wenn ihr Fragen habt, schreibt mir einfach eine Nachricht.
Luisa: Genau. Lest euch das gerne durch, super spannende Artikel dazu, der auch nochmal wirklich cool ins Detail geht und einen richtig guten Überblick gibt. Gerade vielleicht auch für diejenigen unter uns, unter euch, die künstliche Intelligenz noch in das Recruiting aufnehmen wollen, daher meine nächste Frage: Bevor ich jetzt KI in mein Recruiting aufnehme, worüber muss ich mir im klaren sein und was sind die ersten Schritte und wo fang ich erstmal eigentlich an?
Ivan: Keine einfache Frage. Aber lass uns mal ganz am Anfang anfangen. Let's face it, jedes Unternehmen will Geld verdienen und dazu braucht es geeignete Mitarbeiter, die Produktivitätssteigerung bedeuten und jede Fehlbesetzung ist kontraproduktiv und somit zu vermeiden. Daraus lassen sich einfach die Ziele ableiten und soweit ist auch jeder Student in der Psychologie- oder BWL-Vorlesung in den letzten Jahrzehnten gekommen, das ist jetzt nichts Neues. Aber bei bestmöglichen Methoden und Werkzeugen in der Personalauswahl, da wird es schon schwieriger, weil der Mensch eben ein hochkomplexes Wesen ist und nun ergibt sich mit der KI eine Chance, dieser Komplexität gerecht zu werden und das ist auch das Spannende, was ich an dieser Technologie finde. Dieses Werkzeug sollte meiner Meinung nach aber immer sinnvoll und zielorientiert eingesetzt werden, das ist das entscheidende.Als Leitfaden eignen sich, ich habe die jetzt 10 Gebote genannt, die der Ethikbeirat HR-Tech aufgestellt hat. Ich habe sie hier vor mir und werde ein paar davon als Leitlinie, als Beispiel rausnehmen, um auf deine Frage noch konkreter zu antworten, was sind die ersten Schritte? Ich finde die ersten Schritte sollten sein sich diese 10 genauer anzuschauen. Also es geht hier um transparenten Zielsetzungsprozess. Vor der Einführung einer KI-Lösung muss die Zielsetzung für die Nutzung geklärt werden. Es muss klar sein, wie mache ich das überhaupt. Es gibt ferne und fundierte Lösungen. Wer KI-Lösungen nutzt, muss darauf achten, dass diese auch empirisch evaluiert sind und qualitativ hochwertig. Nur so können wir, die
[unintelligible 00:14:36] überzeugen. Es gibt Rollenklärung, wer trifft denn die finale Entscheidung und das sollten die Menschen sein und nicht die KI. Es geht um notwendigen Sachverstand, Thema Haftung und Verantwortung ist etwas, was im vornherein schon geklärt werden soll, bevor man sich überhaupt mit Entwicklern zusammensetzt. Es geht um Informationspflicht, bevor man KI-Lösungen einsetzt, müssen die Menschen, die davon betroffen werden, über ihren Einsatz, über ihren Zeck und die verwendeten Datenarten informiert werden, weil Datenqualität, Diskriminierung, das sind wichtige Punkte, die man von vornherein klären sollte, um erfolgreich KI einsetzen zu können, damit Diskriminierungen, wie in der Presse oft schon gelesen, zu mindestens reduziert, wenn nicht ausgeschlossen werden können.Du siehst Luisa, das Thema Ethik beim Einsatz von KI-Lösungen ist komplex und tiefgründig, Common Sense allerdings dürfte sein, dass Menschen-Technologie gegenüber Vertrauen empfinden müssen, um sie langfristig zu akzeptieren und darum geht es hier. Wenn nun diese Leitplanken klar sind und geklärt sind, dann kann es tatsächlich schnell gehen. Also, ganz konkret Business-Case aufstellen, was konkret möchte ich machen? In diesem Beispiel, möchte ich den Auswahlprozess, den Vorauswahlprozess minimieren und schneller machen. Dann die Entscheidung Buy-and-Build, habe ich die Expertise bei mir im Unternehmen im Haus und kann darauf zugreifen oder nicht. Ich suche mir einen Partner, der das für mich implementieren kann. Zweitens Set-Up a Team, wer kann mich bei diesem Vorhaben unterstützen und wen brauche ich dafür? An dieser Stelle ist er vollkritisch, dass der Recruiting-Experte, die künstliche Intelligenz innerlich trainiert und weiterentwickelt und nicht unbedingt der IT-Pro, der die neuronalen Netze oder andere Technologien, Machine-Learning-Technologien, irgendwie programmiert, dass das inhaltlich getrieben ist. Schon hat man einen MVP, Minimum Viable Product und kann mit dem ausbauen der KI beginnen. Der letzte Schritt, der oft vergessen wird, der aber entscheidend ist und das Besondere an der künstlichen Intelligenz, dass sie in der Lage ist zu lernen und sich weiterzuentwickeln und dabei sollte der Mensch diese Weiterentwicklung vorantreiben und so die Qualität ständig weiter erhöhen. Das ist meine lange Antwort auf deine kurze Frage. Sorry, ich bin ein bisschen ausgewichen.
Luisa: Nein, es ist super interessant, ich finde es auch gerade spannend, das ganze Thema mit einem Diplom-Psychologen zu besprechen und das auch aus dieser Sichtweise noch ein bisschen besser zu verstehen und zu lernen. Okay, angenommen ich in meinem Unternehmen habe jetzt diese 10 Gebote für mich aufgestellt und beantwortet, welche Tools gibt es? Vielleicht kennst du welche, mit welchen hast du bereits gearbeitet? Du hattest vorhin Seedlink angesprochen, vielleicht gibt es da noch weitere und kannst du davon welche empfehlen oder welche kannst du vor allem empfehlen?
Ivan: Okay. Der Markt ist irre groß geworden und ich habe keinen Überblick, muss ich dazu ganz ehrlich sagen, weil gefühlt jeden Tag neue Start-Ups kommen und am Markt aufpoppen. Aber lass uns doch mal einen Schritt zurückgehen, bevor man sich in diesen Markt wagt und sich verschiedene Provider anschaut, möchte ich nochmal betonen, die Zielsetzung ist entscheidend. Für eine besser Candidate-Experience zum Beispiel, habe ich mit Maja gearbeitet. Maja ist ein Chatbot und der nicht nur die Bewerberkommunikation übernimmt, sondern auch das Screening, so wie die Terminvereinbarung erfolgreich meistern kann. Um jetzt nicht Werbung für ein paar Unternehmen oder Start-Ups zumachen, habe ich auch ein paar andere, die ich ebenfalls sehr spannend finde, Joppa zum Beispiel, ist eine spannende Alternative. Oder A.L.I.C.E. ist ein extrem zuverlässig agierender Bot bei der Terminierung der Interviews und gleichzeitig begeistert das auch die Kandidaten. Wenn wir uns jetzt eine andere Zielsetzung anschauen, zum Beispiel wenn es um intelligentes Screening und Matching geht, da setzt Ideal den Maßstab meiner Meinung nach. Kritisch ist mir HireVue oder natürlich PRECIRE aufgefallen, das in der Presse zu verfolgen ist und auch spannende 180 Grad Drehung gemacht hat, wie ich finde. Es muss aber nicht unbedingt ein großes Unternehmen sein. Um jetzt Cyquest zu nennen aus Hamburg. Will ich weiter Vorrang in Qualität, wenn es um Cultural Fit geht. Bei Video-Interviews sticht zum Beispiel Viasto aus Berlin glaube ich hervor. Wenn wir uns Fairness und Diversity anschauen, dann kann ich TextU empfehlen. Finde ich sehr spannend, dass die Stellenausschreibungen in Sekunden analysiert werden und optimiert werden, bevor sie halt rausgehen. Und da Thema Diversity immer wichtiger wird in Unternehmen, ist es sicherlich ein Tool, das genauer angeschaut werden sollte. Aber auch Watson zum Beispiel von IBM finde ich extrem beeindruckend. Vor allen Dingen wie schnell er sich in den letzten Jahren entwickelt hat und was er mittlerweile drauf hat. Also der Markt explodiert und um so wichtiger ist es meiner Meinung nach einen kritischen Blick auch hinter den Kulissen und Demos, die immer nice sind und beeindrucken, zu werfen. Gute Kriterien wie Validität, Reliabilität haben ihre Gültigkeit auch nach Jahrzehnten Forschung immer noch nicht verloren und es ist wichtig zu verstehen, "Was kann man tun?", "Ist es das richtige Werkzeug, um meine Ziele zu erreichen, um Recruitment voranzubringen?"
Luisa: Spannend, dass du grade den kritischen Blick hinter den Kulissen erwähnt hast, denn meine nächste Frage bezieht sich auch auf einen Artikel, der mit dir im Business Insider letzte Woche erschienen ist. Darin wird diskutiert inwiefern KI im Bewerbungsverfahren diskriminierend sein kann. Experten sprechen da von algorithmischer Voreingenommenheit. Was sind deiner Meinung nach die größten Challenges von KI im Recruiting und wie kann man sie eventuell überkommen?
Ivan: Interessant, dass du diesen Artikel ansprichst, weil er finde ich sehr polarisiert und mich auch ein bisschen zu naiv dastehen lässt. Was ich aber gar nicht so schlimm finde, weil er sollte auch in die Kontroverse diskutiert werden und auch ein bisschen provozieren. Das tue ich auch gerne indem ich die Risiken vielleicht minimiere und die Chancen mehr herausstelle. Aber das ist ganz klar erfolgskritisch diese Risiken ernst zu nehmen und sich vor Augen zu führen wie wichtig es ist, diese Herausforderung, wenn man KI einführt, ernst zu nehmen und schon vorausschauend gewisse Maßnahmen abzuleiten.Ich möchte hier auch eine Studie zitieren und zwar an der Uni Bamberg steigt die Akzeptanz von softwarebasierten Helfern weiter an. Also grundsätzlich ist sowohl auf der HR-Seite als auch auf der Kandidatenseite. Logischerweise, wenn wir uns Netflix, Google Maps und andere KI Anwendungen im alltäglichen Leben anschauen, sehen wir, dass es alltäglich ist. Dementsprechend auch in HR Akzeptanz immer steigert. Es ist aber erfolgskritisch für ein KI Projekt, dass möglichst viele Informationen über diesen Algorithmus, so wie dessen Funktionsweise zur Verfügung stehen. Denn das schafft Vertrauen und Transparenz. Ich benutze das Wort Vertrauen glaube ich zum vierten Mal schon in dieser Folge, weil es entscheidend ist für die Akzeptanz. Für mich überraschend sind also die Ergebnisse vom Professor Laumer, die aufzeigen, dass weibliche ältere und Kandidaten mit Migrationshintergrund, der Maschine in Recruitment mehr vertrauen als dem Menschen. Fand ich schon krass. An dieser Stelle möchte ich nochmal den kritischen Blick von der Maschine tatsächlich mal auf den Recruiter richten. Unglaubliche Besetzungsprozesse wie, was ich vor Kurzem gelesen habe, Pitch mit direkt zu sagen wo hunderte Kandidaten anhand durchgeschleust werden, mit Arbeitsverträgen rausgehen, a la Heidi Klums Fotovergabe und solche Praktiken werden mit einem HR Award ausgezeichnet. Es ist irre. Mit Blick auf die moderne Personalauswahl wünsche ich mir, dass wir Menschen einigen der eben erläuternden Richtlinien, die für KI aufgestellt sind, auch ansatzweise gerecht werden können. Das wäre schon schön, wenn wir uns kritisch hinterfragen in dieser Diskussion, wenn es um KI geht und selbst bessere Qualität in der Personalauswahl liefern und das Thema Diskriminierung gehört dazu. Weil Diskriminierung psychologisch gesehen einfach ein schwer zu kontrollierbarer Prozess ist und subliminal abläuft und dementsprechend alltäglich ist und schon immer war.Herausfordernd ist es auch der künstlichen Intelligenz beizubringen nicht nur die menschliche Diagnostik zu überbieten. Was ich gerade genannt habe, zu lernen immer besser zu werden, sondern dabei auch diese menschlichen Tugenden wie Vertrauen und Güte walten zu lassen. Das wird schwer sein der KI beizubringen, denn der Mensch ist ein hochkomplexes Wesen und damit mindestens genau so faszinierend wie eben seine Imitation.
Luisa: Ja, schön gesagt. Was mir auch vorhin noch dazu eingefallen ist, was du gesagt hast, "Wer nicht wagt der nicht gewinnt." Also solange man es vielleicht nicht selber ausprobiert und in seinem Unternehmen etabliert, kann man auch nicht wissen wie erfolgreich man sein könnte. Vielleicht abschließend, was sind deiner Meinung nach die größten Vorteile von künstlicher Intelligenz im Recruiting?
Ivan: Da gibt es viele, je nach Einsatzbereich und ich möchte nicht wie im Interview nochmal so naiv erscheinen und Werbung für KI grundsätzlich machen. Was ich aber an dieser Stelle sagen möchte, dass ich schon grundsätzlich überzeugt bin, dass eben künstliche Intelligenz den Recruiter dabei unterstützen kann die bassen Talente auf dem Markt zu identifizieren, auszusuchen und an Bord zu holen. Dabei ist die Rolle des Talent-Acquisition-Managers selbst mitten in einem großen Wandel. Du hast vorhin gesagt, dass ich Diplom-Psychologe bin und meine Generation hat sich für HR entschieden um mit Menschen zu arbeiten. Nicht unbedingt mit Tech. Wir Psychologen haben in den letzten Jahrzehnten einen großen Mehrwert insbesondere in Eignungsdiagnostik generiert, aber heute macht ein signifikanter Teil der Rolle eher das Verkaufen aus. Weil durch die Megatrends das Kräfteverhältnis auf dem Markt kippt, es wird zunehmend zu einem Kandidaten-Markt. Es ist nun entscheidender ständig up-to-date zu sein, die Zielgruppen zu verstehen und dann per erfolgsversprechenden Kanälen entsprechend zu kommunizieren. Mit der Digitalisierung kommen nun auch die technischen Anforderungen dazu, die diese hybride Rolle noch anspruchsvoller macht. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nochmal mich als Empfehlung aus der Pilotfolge deines Podcast wiederholen. Recruiter vernetzt euch, auf Meet-Ups, tauscht euch aus, hört solchen Podcast wie diesen hier und entwickelt euch stetig weiter. Das klingt fast schon wie bei einer KI, wie ich gerade schon gesagt habe. Mit diesem Appell möchte ich mich auch hier verabschieden und meinen Kollegen mit auf dem Weg geben sich weiterzuentwickeln und immer weiter zu lernen .
Luisa: Vielen Dank Ivan. Ich glaube, das war wirklich super toller Input. Du hast viele Dinge gesagt und angesprochen, die ich jetzt gleich auch nochmal nachgucken werde, um mich weiter zu informieren. Also herzlichen Dank, dass du dein Wissen und auch dein Projekt bei L'Oréal mit uns geteilt hast und das ganze Thema KI im Recruiting ein bisschen handfester präsentiert hast, sodass wir uns alle wirklich gut etwas darunter vorstellen können. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast und habe noch eine schöne Woche.
Ivan: Danke, wünsche ich dir ebenfalls und viel Erfolg mit dem Podcast