In großen Unternehmen war es früher üblich, dass eine Stelle vom Vater oder der Mutter an den Sohn oder die Tochter vererbt wurde. Erst wenn der Nachwuchs nicht wollte, schrieb man die Stelle aus. Und ebenso normal war es, eine*n Bekannte*n für eine neue Stelle zu empfehlen. Damals brauchte man das so genannte Vitamin B, was für Beziehungen stand, um einen Job bei einem Autohersteller oder einem Pharmaunternehmen zu bekommen. Das war der Beginn der Mitarbeiter*innen-Empfehlung.
Heute ist die Mitarbeiter*innen-Empfehlung einer der wichtigsten Recruitingkanäle geworden. Entsprechende Empfehlungsprogramme sind auch Ausdruck einer entwickelten Unternehmenskultur, die die Mitarbeiter*innen in den Mittelpunkt stellt.
Die Ansprüche an Bewerber*innen sind gewachsen
Das Problem früher war, dass es oft weniger um die Qualifikation ging als darum, jemandem einen Gefallen zu tun. Ein*e Mitarbeiter*in empfahl Freund*innen, Familienmitglieder oder Bekannte und erwartete dann oft eine Gegenleistung. Das hat sich drastisch verändert. Die Ansprüche an Bewerber*innen sind höher geworden, die Stellenbeschreibungen umfangreicher und die Qualifikation spielt eine größere Rolle.
Bessere Qualität in den Bewerbungen
Hinzu kommt, dass heute Unternehmen aktiv nach geeigneten Fachkräften suchen und dabei jeden Kanal nutzen. Dass sich das auszahlt, zeigen viele Statistiken und Studien. So haben einer Untersuchung des amerikanische Unternehmens Careerbuilder zufolge 81 Prozent der Arbeitgeber*innen gesagt, dass ihre Mitarbeiter*innen-Empfehlungsprogramme das beste Investment gewesen sind. Eine Studie, die im Journal of Labor Economics veröffentlicht wurde, fand heraus: „Die Daten von einem Call Center haben uns gezeigt, dass durch die Empfehlungen Mitarbeiter*innen gefunden wurden, die mehr leisteten als andere.“
IT-Berater*innen setzen auf Mitarbeiter*innen-Empfehlungen
Siegfried Bauer ist Head of HR Marketing, Recruiting und Sourcing des IT-Beratungshauses msg. Das Unternehmen mit 7500 Mitarbeitenden ist eines der größten IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen in Deutschland. Bauer verwendet datenbasiertes Recruiting, bei den die einzelnen Recruiting-Kanäle mit KPIs verglichen werden. Dabei hat er beispielsweise festgestellt, dass die Mitarbeiter*innen-Empfehlung mittlerweile der effizienteste Recruiting-Kanal innerhalb der msg ist.
Interne Mitarbeiter*innen-Empfehlung als Teil des Employer Brandings
Empfehlungen beziehen sich nicht nur auf Personen außerhalb des Unternehmens, sondern auch in der Organisation selbst. Damit kann auch eine interne Bewerbung auf eine Stelle noch von Kolleg*innen unterstützt werden. Gleichzeitig können Angestellte auf qualifizierte Kolleg*innen aufmerksam machen, die sich vielleicht nicht trauen, eine Bewerbung einzureichen.
Für ein Unternehmen ist die interne Suche nach Kandidat*innen auch Teil des Employer Brandings, also der Selbstdarstellung als Arbeitgeber*in. Eine Randstad-Studie hat ergeben, dass 47 % der Befragten über private Beziehungen und Empfehlungen nach neuen Aufgaben suchen. Wer in einem Unternehmen glücklich ist, wird das auch weitererzählen und entsprechend Jobs an Bekannte weiterempfehlen.
Wie funktioniert die Mitarbeiter*innen-Empfehlung?
Bei einer Mitarbeiter*innen-Empfehlung wird ein*e Bewerber*in auf eine neue Stelle von einem*einer Mitarbeiter*in des Unternehmens empfohlen, bei dem er*sie sich bewirbt. Das kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen:
Mündlicher Hinweis
Wenn in einer Abteilung eine Stelle frei geworden ist, geben Mitarbeitende den HR-Verantwortlichen einen Hinweis auf eine*n potenzielle*n Bewerber*in. Meistens werden E-Mail und Telefonnummer weitergegeben. Der*Die Recruiter*in kann dann entscheiden, ob er*sie die Hilfe annehmen will oder nicht. Ein anderer Weg ist, den Hinweis an die Teamleitung oder Abteilungsleitung zu geben, in deren Verantwortungsbereich die Stelle besetzt werden soll.
Schriftliche Empfehlung
Ein etwas offiziellerer Weg ist eine schriftliche Mitteilung an die Personalverantwortlichen oder entsprechenden Leitenden in der Abteilung. In der internen Notiz wird der*die empfehlende Mitarbeiter*in darlegen, warum er*sie glaubt, dass die empfohlene Person für die Stelle geeignet ist und welche Qualifikationen der*die Bewerber*in mitbringt.
Referenz in der Bewerbung
Ein*e Bewerber*in kann auch im Anschreiben darauf hinweisen, dass ein*e Mitarbeiter*in sich als Referenz zur Verfügung stellt. Hier reicht aber nicht aus, den Namen der Person lediglich in den Fußnoten zu führen. Der Name und die Position müssen deutlich bereits im Anschreiben genannt werden.
Bewerbung in sozialen Netzwerken
Sehr häufig kommt es vor, dass Angestellte eine freie Stelle im Unternehmen über ihre sozialen Netzwerke verbreiten. Das schafft eine große Reichweite, ist gut für das Reputationsmanagement und die Chance von qualifizierten Bewerbungen ist groß.
Internes Mitarbeiter*innen-Empfehlungsprogramm
Die beste Methode, um Empfehlungen abzugeben, ist durch ein durchdachtes Empfehlungsprogramm in einem Unternehmen. Wenn es einen klaren Prozess und entsprechende Anreize gibt, werden Mitarbeiter*innen gerne Freund*innen und Bekannte über ein entsprechendes System vorschlagen.
So funktioniert die Mitarbeiter*innen-Empfehlung für die Beschäftigten
- Empfehlungsprogramm in allen Ebenen bekannt machen
- Anreize für Mitarbeiter*innen schaffen
- Empfehlungsprozess einfach halten
- Freie Stellen ausreichend kommunizieren
- Erfolg messen
- Feedback an Empfehlende geben
Prämien für Mitarbeiter*innen-Empfehlungen
In den USA war es schon seit den 80er Jahren üblich, dass Mitarbeiter*innen für Empfehlungen auch belohnt wurden. Diese Welle hat mit der Jahrtausendwende auch Europa erreicht. Allerdings sind die Belohnungssysteme und Anreize sehr verschieden. Unternehmen sind gut beraten, wenn sie intern deutlich machen, welchen Bonus für Mitarbeiter*innen-Empfehlungen es gibt und das auch beibehalten.
An Prämiensystemen gibt es unter anderem:
- Einen festen Geldbetrag
- Gutscheine (Urlaub, Restaurants, Wellness)
- Teilnahme an Verlosungen
- Öffentliche Belobigung
Geldbeträge sind zwar eine naheliegende Lösung, bringen aber auch Nachteile mit. Der größte ist, dass sie versteuert werden müssen. Außerdem kann die Gefahr bestehen, dass nur wegen des Geldes an Mitarbeiter*innen-Empfehlungsprogrammen mitgemacht wird. Das kann die Qualität der Bewerbungen verringern. Und: Geld motiviert nicht so gut wie andere Leistungen, die in einem Kontext stehen. Man erinnert sich meistens nicht einmal mehr an die Summe.
Aber an Geschenke erinnert man sich. Wer ein Wochenende im Wellnesshotel verbrachte oder ein iPad geschenkt bekommen hat, wird das nicht vergessen und die Empfehlung mit positiven Gefühlen verbinden. Es sollte aber darauf geachtet werden, dass diese Geschenk-Prämien auch von allen Angestellten geschätzt werden. Nicht alle wollen gerne ein Fußballspiel sehen, zur Fußpflege gehen oder im Steakhouse essen.
Verlosungen motivieren Mitarbeitende: Firmen, die nicht für jede Bewerbung eine Belohnung vergeben wollen, können Verlosungen organisieren. Hier kommen die Namen aller Mitarbeiter*innen, deren Empfehlung erfolgreich war, in einen Topf. Sie können dann mit etwas Glück einen der von der Geschäftsleitung gestifteten Preise gewinnen. Diese Methode hat zwei Vorteile: Man muss weniger für Belohnung aufwenden, kann aber auch deswegen alle Empfehlungen mit einbeziehen. Das kann die Motivation in der gesamten Belegschaft erhöhen.
In kleinen und mittleren Betrieben, die auch in innerbetriebliches Vorschlagswesen haben, helfen auch einfache öffentliche Erwähnungen oder Belobigungen. Das kann zum Beispiel am Betriebsausflug oder bei der Weihnachtsfeier geschehen. Natürlich freuen sich die Empfehlenden auch über Erwähnungen in internen Magazinen und Intranetseiten.
Otto gibt Mitarbeiter*innen Prämien: Das Versandunternehmen Otto hatte einen Pilotversuch mit einem datenbasierten System für Mitarbeiter*innen-Empfehlungen durchgeführt, der sich als erfolgreich erwies. Zwar gab es laut Personalprojektverantwortlicher Myra Monheim von Ondarza die Möglichkeit der Empfehlung bereits seit über zehn Jahren, sie sei aber wenig genutzt worden. Mit dem neuen System hätten sich mehr Jobsuchende gemeldet, die Quote derer die zum Gespräch eingeladen wurden, konnte verdoppelt werden. Bei Otto gibt es für eine Empfehlung Prämien mit einem Wert zwischen 500 und 5000 Euro.
Vor- und Nachteile der Mitarbeiter*innen-Empfehlung
Vorteile
Die meisten Untersuchungen und Befragungen von Unternehmen sehen positive Effekte bei der Mitarbeiter*innen-Empfehlung im Recruiting. Es werden die stärkeren Bindungen hervorgehoben aber auch das breitere Spektrum, aus dem ausgewählt werden kann.
- Zeitersparnis: Wer seine Mitarbeiter*innen auffordert, bei der Stellenbesetzung zu helfen, spart Zeit. Die Zeit zwischen der Bewerbung und der Einstellung liegt nach einer US-Studie bei empfohlenen Kandidat*innen bei 29 Tagen, bei einem traditionellen Bewerbungsprozess bei 39 Tagen über Jobbörsen.
- Höhere Einstellungsrate: Bewerber*innen, die empfohlen werden, haben eine höhere Chance auch eingestellt zu werden. Das bedeutet für Unternehmen letztlich, dass auch die Qualität der Jobsuchenden höher ist.
- Kostenersparnis: Wer über seine Belegschaft geeignete Kandidat*innen findet, muss keine Anzeigen in Jobbörsen schalten oder Headhunter beauftragen. Auch kann der Bewerbungsprozess beschleunigt werden, wenn entsprechende Prozesse vorhanden sind.
- Schneller Return of Investment: Da die Kosten einer Stellenbesetzung durch Mitarbeiter*innen-Empfehlungen geringer sind, sinkt auch das Investment oder die Cost-per-Hire. Gleichzeitig ist die Qualität höher, was sich in der Produktivität des*der neuen Mitarbeiter*in ausdrückt.
- Höhere Loyalität: Wer sich über eine*n Freund*in oder Bekannten auf eine Stelle bewirbt, wird sich dieser Person verpflichtet fühlen. Außerdem wissen die Bewerber*innen meist schon einiges über das Unternehmen, für das sie sich bewerben. Es gibt aber auch einen Loyalitätseffekt für die Empfehlenden. Bei LinkedIn fand man in einer Mitarbeiter*innen-Empfehlung Studie heraus, dass Mitarbeiter*innen, die Empfehlungen gegeben haben, selbst loyaler zum Unternehmen sind.
- Vorteile fürs Betriebsklima: Wer sich über eine Empfehlung auf eine Stelle bewirbt, kennt oft schon die Abläufe im Unternehmen und die Kultur, die dort vorhanden ist. Es gibt bereits eine positive Bindung zu einem*einer bestehenden Mitarbeiter*in. Das kann die Hürden für die Eingewöhnung senken. Die über Vorschläge gewonnenen Angestellten fügen sich schneller ein.
Nachteile
Kein Recruiting-Tool ist perfekt und deshalb hat auch die Mitarbeiter*innen-Empfehlung Nachteile. Diese können aber vermieden werden, wenn sie dem Unternehmen bewusst sind.
- Klüngel: Gerade dort, wo Einstellungsprozesse nicht formalisiert sind, besteht die Gefahr, dass sich ein Klüngel bildet. Dann werden Mitarbeiter*innen nur über ihre Beziehung eingestellt. Eine Bank in Asien musste nach dem Einstieg eines Investors viele ihrer Beschäftigten entlassen, weil diese kaum arbeiteten. Sie hatten den Job über Verwandte bekommen, ohne Nachweis von Qualifikationen.
- Bestechung: Es gibt Stellen, da würde ein*e Bewerber*in alles geben, um sie zu bekommen. Das kann sich auch in der Bestechung von Mitarbeiter*innen ausdrücken. Dem kann die HR aber mit einem prämienbasierten Empfehlungssystem entgegensteuern.
- Umgehung von Richtlinien: Gerade weil Einstellungen nach Empfehlungen viele Vorteile haben, besteht die Gefahr, dass die Bewerbenden einen Fast-Track bekommen. Sie können Tests überspringen oder die Vorschriften für eine Stellenbesetzung werden nicht beachtet. Das ist gerade beim Thema Diversität eine Gefahr. Denn Männer neigen zum Beispiel dazu, auch Männer zu empfehlen, was aber dem Wunsch nach mehr Frauen im Unternehmen zuwiderlaufen kann.
Grundlagen für Empfehlungsprogramme schaffen
Klare Kommunikation
Mitarbeiter*innen sollen ermutigt werden, bereits ab dem Onboarding-Prozess Empfehlungen abzugeben. Ein Empfehlungsprogramm muss allen bekannt sein und jeder muss auch dazu Zugang haben. Die Belegschaft soll verstehen, dass sie im Recruitingprozess wichtig sind und am Erfolg teilhaben können.
Sichtbarkeit
Freie Stellen müssen auch sichtbar für die Angestellten und Führungskräfte sein. Wer die Stellenausschreibungen am Fuß der Intranetseiten versteckt, wird wenig Erfolg haben. Freie Stellen müssen an prominenter Stelle in der internen Kommunikation stehen und auch über Hausmitteilungen immer wieder in Erinnerung gebracht werden.
Praxistipp: Im Intranet eine Seite aufsetzen, über die Mitarbeiter*innen in wenigen Schritten ihre Empfehlung abgeben können. Und: In Zeiten der sozialen Netzwerke müssen die Mitarbeiter*innen auch in der Lage sein, eine Stellenausschreibung über LinkedIn, Xing, WhatsApp oder Facebook zu verbreiten.
Begeisterung
Wenn Mitarbeiter*innen stolz darauf sind, dass sie eine*n passende*n Bewerber*in empfohlen haben, kann das auch kommuniziert werden. Über die normalen Incentives hinaus hilft es, wenn das Personal auch mit Begeisterung bei der Sache ist. Je motivierter die Mitarbeiter*innen sind, umso mehr Empfehlungen können sie aussprechen.
Praxistipp: Eine Möglichkeit ist, die Belegschaft bei einem Bewerbungstag einzubinden. Sie können die Besucher danach scannen, ob sie jemanden kennen.
Klare und einfache Richtlinien
Auch das Empfehlungsprogramm muss sich im Rahmen der allgemeinen Personalrichtlinien bewegen. Deswegen braucht es klare Richtlinien und Prozesse, wie Empfehlungen abzugeben sind, an wen sie gesendet werden und welches Format sie haben müssen.
Wie kann man den Erfolg der Empfehlungsprogramme messen?
Der Erfolg eines Empfehlungssystems kann auf unterschiedliche Art und Weise gemessen werden. Man sollte auf jeden Fall versuchen, die Empfehlungen auch in Zahlen zu fassen. Nur so lässt sich feststellen, wie erfolgreich dieser Weg im Vergleich mit anderen Recruiting-Strategien abschneidet.
Hier einige Messdaten zur Auswahl:
- Anzahl der Empfehlungen an der Gesamtzahl von Bewerbungen auf eine Stelle (damit lässt sich darstellen, ob und wie gut das Empfehlungssystem funktioniert)
- Klicks auf die internen Stellenanzeigen
- Zahl der internen Bewerbungen auf eine Stelle
- Zahl der Kandidat*innen, die aufgrund von Empfehlungen zum Interview eingeladen werden
- Zahl der Kandidat*innen, die aufgrund von Empfehlungen eingestellt werden
- Wie lange verbleiben Mitarbeiter*innen, die über Empfehlungen eingestellt wurden, im Unternehmen (Fluktuationsrate)
Mitarbeiter*innen-Empfehlungsprogramme sind nur ein Kanal im Recruiting
Auch wenn die Vorteile von eigenem Personal als Headhunter auf der Hand liegen, sollte das Empfehlungsprogramm nur eine Ergänzung zum klassischen Recruiting sein. Denn so wie man bei Anzeigen die eigenen Ressourcen übersehen kann, verzichtet man bei den Empfehlungen auf einen Input von außen. Gerade wenn viele Stellen über Empfehlungen besetzt werden, kann dass die Reputation beeinträchtigen.
Spricht sich das herum, können externe Bewerber*innen, die keine Kontakte haben, abgeschreckt werden. Das Kostenargument sollte deshalb wohl überlegt sein. Wer eine hohe Qualität an Bewerbungen haben möchte, sollte immer unterschiedliche Kanäle verwenden.