10 Wege zur Schaffung von psychologischer Sicherheit am Arbeitsplatz

Zuletzt aktualisiert:
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6/7/2022
6/7/2022
Minuten Lesedauer
Leon Hauber
Psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz ist ein wichtiger Faktor für die Motivation und Produktivität. Wer sich sicher fühlt, leistet mehr.
Inhalt

Die Sicherheit am Arbeitsplatz geht längst über Vorschriften von Berufsgenossenschaften und anderen Behörden hinaus. Neben technischer Sicherheit geht es um die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter*innen. Diese kann nur begrenzt zu Papier gebracht werden, weil sie zu einem großen Teil eine subjektive Wahrnehmung ist.

Arbeitgeber können aber eine Umgebung schaffen, in der sich Angestellte wohl und sicher fühlen. Psychologische Sicherheit hängt eng mit der Unternehmenskultur zusammen. Für Arbeitgeber ist das Thema wichtig, denn es hat Einfluss auf Loyalität, Motivation, Fluktuation und das Employer Branding.

Was ist psychologische Sicherheit bei der Arbeit?

Die psychologische Sicherheit bei der Arbeit beschreibt ein Umfeld, in dem Mitarbeiter*innen in der Lage sind, nach bestem Wissen ihre Fähigkeiten einzubringen, Diskurse zu beginnen und davon ausgehen können, in ihrer gesamten Persönlichkeit respektiert zu werden. Sie werden keinem psychologischen Druck von Kolleg*innen und Vorgesetzten ausgesetzt (der über gemeinsam formulierte Zielsetzungen hinausgeht).

Der Autor Harri Kaloudis beschreibt sie so:

Bei der psychologischen Sicherheit in Unternehmen geht es nicht darum, immer nett zueinander zu sein. Das wäre einfach, aber nicht zielführend. Es geht darum, offenes und ehrliches Feedback zu teilen, erlebte interpersonale und intrapersonale Spannungen anzusprechen, zwischenmenschliche Risiken einzugehen, Fehler zuzugeben, um Hilfe zu bitten und voneinander zu lernen. Das kann ziemlich herausfordernd sein.

Der Internetriese Google hat in Studien untersucht, wie sich Mitarbeiter*innen in Teams so sicher fühlen, dass sie am besten arbeiten können. Daraus entstand diese Definition eines psychologisch sicheren Teams:

Ein Team fühlt sich für seine Mitglieder psychologisch sicher an, wenn sie die Überzeugung teilen, dass sie innerhalb des Teams keinen zwischenmenschlichen oder sozialen Bedrohungen für sich oder ihre Identität, ihren Status oder ihr Ansehen und ihre Karriere oder Beschäftigung ausgesetzt sind. Wenn sie um Hilfe bitten, Feedback einholen, Fehler oder mangelndes Wissen zugeben, etwas Neues ausprobieren oder arbeitsbezogene abweichende Ansichten äußern können.

Es geht also um die subjektive Wahrnehmung der Personen, nicht um ein allgemeingültiges Konzept. Psychologische Sicherheit bezieht sich auf die Konsequenzen, die zwischenmenschliche Beziehungen haben (oder nicht), das Risiko, sich zu Wort zu melden. Je größer das Sicherheitsgefühl, umso eher sind Mitarbeiter*innen bereit (kalkulierte) Risiken einzugehen, Neues auszuprobieren und einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Sie sind proaktiv, entwickeln Ideen und respektieren ihre Kolleg*innen.

Die psychologische Sicherheit bei der Arbeit wird von vier Faktoren bestimmt:

  • Zwischenmenschliche Beziehungen
  • Gruppendynamik
  • Organisationale Normen und Unternehmenskultur 
  • Führungskultur

Warum ist es wichtig, psychologische Sicherheit bei der Arbeit zu fördern?

Das Magazin Harvard Business Review beschreibt anhand eines fiktiven, aber realistischen Beispiels, welche Rolle Angst und ein falsches Sicherheitsdenken haben kann:

Denken Sie an den allzu häufig vorkommenden Fehler von John, einem aufstrebenden Star in einem großen, Instrumentenunternehmen. Als Leiter der Produktentwicklung hatte John den Auftrag, innovative Ideen für Produkte und Dienstleistungen zur Markteinführung in drei bis sechs Jahren einzubringen. „Überraschen Sie mich“, sagte der CEO. John hatte freie Hand bei der Einstellung. Er stellte hochtalentierte BWL-Absolventen mit Bestnoten ein. Diese machten Branchenanalysen durch und sortierten bestehende Produktmöglichkeiten, wobei sie ihre kürzlich erworbenen Fähigkeiten in der Finanzanalyse einsetzten. Natürlich brachten sie keine brauchbaren Ideen. Der Grund lag in der Angst, etwas falsch zu machen – selbst wenn der CEO ausdrücklich das Gegenteil wollte.

Drei Worte reichen aber nicht aus, damit sich Mitarbeiter*innen sicher genug fühlen, etwas Neues auszuprobieren. Unternehmen, deren Kultur auf tradierten Verhaltensweisen aufbaut, sind selten innovativ. Mitarbeiter trauen sich nicht, gegen das “Wir haben das immer so gemacht” anzugehen. Stattdessen gehen sie auf Nummer sicher – eine Sicherheit, die aber trügerisch ist. Denn letztlich demotiviert eine solche Arbeitsumgebung Angestellte. Sie können sich nicht entfalten, erhalten keine Anerkennung und Wertschätzung und entwickeln sich nicht weiter.

Die amerikanische Psychologin Amy Edmonson ist eine Expertin, wenn es um psychologische Sicherheit geht und hat grundlegende Studien durchgeführt. Eine Erkenntnis:  “Wir werden aufgeschlossener, belastbarer, motivierter und ausdauernder, wenn wir uns sicher fühlen. Humor nimmt ebenso zu wie Lösungsfindung und divergentes Denken – der kognitive Prozess, der der Kreativität zugrunde liegt.” 


Die psychologische Sicherheit ist darüber hinaus ein Teil der Work-Life-Balance. Wer jeden Tag emotional ausgezehrt und geistig erschöpft nach Hause kommt, wird sich irgendwann eine neue Beschäftigung suchen. Insbesondere dann, wenn noch Überstunden gemacht werden müssen und es Druck wegen Fristen gibt.

Was hindert Angestellte daran, sich bei der Arbeit psychologisch sicher zu fühlen?

Das Betriebsklima, die Unternehmenskultur und die Führung sind Faktoren, die die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz zu einem großen Teil bestimmen. Ist die Stimmung in der Firma schlecht, wirkt sich das ebenso auf das Sicherheitsempfinden aus wie eine Kultur, die auf die Leistungen der Einzelnen setzt statt des Teams.

Im Vertrieb findet man oft Mitarbeiter*innen, die unter einem hohen Erfolgsdruck stehen. Der Erfolg wird an ihren Zahlen festgemacht, nicht denen der Region oder des Teams. Wenn es dann noch firmeninterne Wettbewerbe gibt und über Geldgeschenke und Reisen Angestellte zu mehr Leistung angespornt werden sollen, werden diese recht bald aus Angst vor dem Versagen scheitern.

In sehr hierarchisch strukturierten Unternehmen und solchen mit einer sehr detailliert beschriebenen Organisationsstruktur kann es ebenfalls zu psychologischer Unsicherheit kommen. Dann nämlich, wenn Führungsebenen nicht übergangen werden dürfen, wenn sich Vorgesetzte mit den Leistungen der Angestellten schmücken oder in Meetings nur sprechen darf, wer den Begriff “Senior” im Titel hat.

Psychologische Sicherheit an einem hybriden Arbeitsplatz

Unternehmen, die Teams aufgeteilt haben und in denen Mitarbeiter*innen teilweise von zu Hause aus oder von anderen Orten aus arbeiten, haben besondere Herausforderungen für die psychologische Sicherheit. 

Bei Online-Meetings kann es etwa vorkommen, dass jemand andere nicht zu Wort kommen lässt oder aber dass jede*r Teilnehmer*in das Recht hat, jederzeit ins Mikro zu sprechen. Hier helfen klare Regeln und eine Struktur der Besprechungen. Klären Sie vorher, was Sie von Ihren Remote-Arbeitnehmern*innen erwarten und schaffen Sie Vertrauen und Respekt im Team und zwischen dem Team und Ihnen als Arbeitgeber. 

10 Maßnahmen für die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz

Sie können als Arbeitgeber aktiv daran mitarbeiten, Ihre Arbeitsplätze psychologisch sicherzumachen. Dazu gibt es ein Bündel von Maßnahmen, die je nach Unternehmensart und -kultur teilweise oder in Gänze umgesetzt werden können.

1. Der Mensch im Mittelpunkt

Ein Unternehmen, das den Menschen als Ganzes in den Mittelpunkt stellt, schafft Vertrauen und baut Sicherheit auf. Sie dürfen es aber nicht bei Lippenbekenntnissen und einem Mission-Statement belassen. Zeigen Sie über Wertschätzung, Vorteile und eine positive Unternehmenskultur, dass Sie es ernst meinen.

2. Befragungen

Um herauszufinden, wie es um die psychologische Sicherheit bei der Arbeit bestellt ist, können Sie Befragungen durchführen. Es gibt die Möglichkeit, diese anonymisiert unternehmensweit oder in Einzelgesprächen zu organisieren. Zu den möglichen Fragen gehören:

  • Fühlen Sie sich in Meetings grundsätzlich wohl und sicher?
  • Fühlen Sie sich sicher danach zu fragen, warum Dinge so gemacht werden, wie sie gemacht werden?
  • Was passiert, wenn Fehler gemacht werden?
  • Trauen Sie sich nach Dingen zu fragen, die Sie nicht kennen?
  • Wie oft gibt es Feedbackgespräche?
  • Dürfen bei einem Meeting alle Teilnehmer*innen sprechen oder nur je nach Position?
  • Kommt es vor, dass Andere sich mit Ihren Lorbeeren schmücken?
  • Wird im Team Hilfe angeboten und auch nach Hilfe gefragt?
  • Fühlen Sie sich sicher, in einem Meeting auch unbequeme Fragen zu stellen und Kritik zu äußern?

Übrigens können Sie als Arbeitgeber diese Fragen auch versuchen, für sich selbst zu beantworten – und dann mit den Antworten der Befragten vergleichen. Es kann vorkommen, dass es aus Ihrem Blickwinkel um die Sicherheit besser bestellt ist als es Arbeitnehmer*innen empfinden.

3. Meetingkultur

In Meetings ist nicht selten ein Kampf der Alphatiere anzutreffen, gerade wenn Vorgesetzte anwesend sind und beeindruckt werden sollen. Schaffen Sie eine Meetingkultur, in der nicht die Position wichtig ist, sondern was jemand zum Thema beizutragen hat. Genügend Zeit für Nachfragen, kurzes Brainstorming und direkte freundliche Ansprache der sonst eher ruhigen Kolleg*innen sind ebenso hilfreich wie Vorbereitung und eine klare Agenda.

4. Kommunikation

Bei IKEA duzen sich alle, ein Brauch, der bei jungen Unternehmen ebenfalls zu finden ist. Das reicht als positive Kommunikation noch nicht aus. Damit psychologische Sicherheit erreicht wird, sollte Kommunikation immer

  • freundlich,
  • in neutralem Ton,
  • sachlich,
  • leise,
  • professionell,
  • fokussiert,
  • angemessen und
  • respektvoll

sein. Jede*r hat das Recht zu sprechen und gehört zu werden. Vermeiden Sie Unterbrechungen in Gesprächen und legen Sie Kommunikationsregeln fest – auch für E-Mail und Messenger.

Für Mitarbeiter*innen können die folgenden Punkte eine kleine Handlungsanweisung sein, wie man sein Gegenüber versteht und im Team psychologische Sicherheit schafft:

  • Diese Person hat Überzeugungen, Perspektiven und Meinungen, genau wie ich.
  • Diese Person hat Hoffnungen, Ängste und Verletzlichkeiten, genau wie ich.
  • Diese Person hat Freunde, Familie und vielleicht Kinder, die sie lieben, genau wie ich.
  • Diese Person möchte sich respektiert, geschätzt und kompetent fühlen, genau wie ich.
  • Diese Person wünscht sich Frieden, Freude und Glück, genau wie ich.

5. Neugierde wecken

Es mag banal klingen, aber Neugierde zu fördern ist ein probates Mittel, damit Mitarbeiter*innen sich sicher fühlen. Denn wer neugierig sein darf, dem wird Vertrauen entgegengebracht. Wem Sie erlauben, nachzuforschen und nachzufragen, der traut sich. Menschen sind von Natur aus neugierig, und wenn dieser Drang eingeschränkt wird, empfinden wir das als psychologischen Druck. Wer nicht fragen darf, hat Angst. Schaffen Sie deshalb eine Arbeitsatmosphäre, in der Sie Neugierde belohnen. 

6. Debatten führen

In jedem Unternehmen gibt es unterschiedliche Meinungen und Auffassungen. Das ist auch gut so, denn sonst gäbe es keine Innovation. Die Art und Weise, wie diskutiert wird, bestimmt aber die psychologische Sicherheit. Debatten sollten immer auf Augenhöhe sein, den anderen nicht verletzten, die Meinung des anderen respektieren und zielgerichtet sein.

7. Fehlerkultur

Eine der weit verbreitenden Ursachen für Angst am Arbeitsplatz ist die Furcht vor Fehlern. Ein Unternehmen, das Fehler bestraft, verängstigt seine Angestellten. Sie werden nun ihr ganzes Augenmerk darauf legen, keine Fehler mehr zu machen – und keine Ideen mehr produzieren und weniger produktiv sein. Eine positive Fehlerkultur hingegen ermutigt Mitarbeiter*innen, Fehler zu melden und gemeinsam daran zu arbeiten, diese zu vermeiden. 

Ein erster Schritt ist es, Fehler von Personen zu trennen. Selten ist jemand alleine für ein Problem verantwortlich. Wenn Sie offen mit Fehlern umgehen, dann ist das ein großer Schritt hin zur psychologischen Sicherheit am Arbeitsplatz.

8. Erfolge gemeinsam feiern

So wie Fehler selten einer Person zuzuordnen sind, sind auch Erfolge nicht nur einem*einer Mitarbeiter*in zuzuschreiben. Zumal heute in Teams gearbeitet wird. Wenn eine Abteilung ihre KPIs übertroffen hat, der Vertrieb mehr verkaufte als bisher, die Produktion schneller ist als angenommen oder das Marketing einen Preis gewonnen hat, feiern Sie es groß und gemeinsam. Gemeinsam Erfolge zu feiern schafft Gruppenzugehörigkeit, und diese wiederum vermittelt psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz.

9. Feedback richtig geben (und einfordern)

Ob Vorgesetzte oder Kolleg*in, Feedback zu geben ist eine Kunst. Wer Kritik an der Person übt, wird andere verschrecken und verängstigen. Bei Feedback- und anderen Mitarbeitergesprächen sollten Vorgesetzte deshalb immer den Grund nennen und einen Termin ausmachen. “Müller, kommen Sie sofort in mein Büro” sollte es heute nur noch in Filmen geben. 

Bei Feedbackgesprächen wollen Sie Angestellte fördern und ermutigen, und nicht verängstigen und unter Druck setzen. Der Sinn und Zweck des Feedbackgesprächs sind im Allgemeinen eine Rückmeldung über die Leistungen und das Verhalten der Mitarbeiter*innen. Es kann sich auf sehr konkrete Anlässe beziehen. Die Herausforderungen besteht darin, die Kritik so zu äußern, dass sie konstruktiv und respektvoll ist. Sie sollten gemeinsam an Verbesserungsvorschlägen arbeiten. Dann fühlen sich Mitarbeiter*innen wohler und die Gespräche werden effizienter.

10. Normen und Strukturen

Sie können mit einer positiven Unternehmenskultur, Empathie und persönlichen Gesprächen viel erreichen, wenn es um die psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz geht. Letztlich werden Sie einen Rahmen mit Regeln hinzufügen müssen, die für alle – auch die Führung – gelten. Diese Normen adressieren den Umgang miteinander, ein System, wie Fehler gemeldet werden, Namen von Ansprechpartner*innen für alle Arten von Problemen, die vertraulich behandelt werden sollen und andere organisatorische Maßnahmen, die hilfreich sein können. 

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