10 Tipps zur Schaffung einer positiven Fehlerkultur im Unternehmen

Zuletzt aktualisiert:
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07
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2021
21.7.21
13/10/2022
13/10/2022
Minuten Lesedauer
Luisa Spardel
Recruitee
Eine positive Fehlerkultur leitet nachhaltige Verbesserungen in den betrieblichen Abläufen ein. Hier finden Sie Tipps & Beispiele.
Inhalt

Der Volksmund hat immer recht: “Irren ist menschlich” und “Aus Fehlern soll man lernen” fasst eigentlich schon recht gut zusammen, was es mit Fehlern auf sich hat. Sie kommen einfach vor. Wo Menschen sind, passieren Fehler. Daran haben auch die besten Computersysteme und Künstliche Intelligenz nichts ändern können. Zwar sind in bestimmten Bereichen die Fehler weniger geworden, das Grundproblem hinter Fehlern bleibt aber das Gleiche: der Mensch.

Von Flugzeugen und Krankenhäusern lernen

In manchen Branchen können Fehler Menschenleben kosten, zum Beispiel in der Flugzeugindustrie. Wer hier vergisst eine Schraube anzuziehen, kann eine Katastrophe auslösen. Trotz mehrfach abgesicherter Systeme kommt es doch immer wieder zu Unfällen. Und sehr oft sind die Menschen die Ursache, wie die Daten zeigen. In der Beschreibung des Fehlervermeidungssystems für Crews (CRM) heißt es: “Die von diesen Geräten gesammelten Informationen deuten darauf hin, dass viele Unfälle weder auf eine technische Fehlfunktion des Flugzeugs oder seiner Systeme noch auf einen Mangel an Fähigkeiten im Umgang mit Flugzeugen oder auf mangelndes technisches Wissen der Besatzung zurückzuführen sind. Es scheint stattdessen, dass sie durch die Unfähigkeit der Besatzungen verursacht werden, angemessen auf die Situation zu reagieren, in der sie sich befinden.”

In sogenannten High-Risk-Organisation wie Flugverkehr und -sicherung, Industrieanlagen und Krankenhäusern hat sich seit etwa 20 Jahren eine neue Sicht auf Fehler etabliert: Es wird akzeptiert, dass sie passieren. Und daraus wird eine erhöhte Achtsamkeit abgeleitet, aber auch ein neues Fehlermanagement. Den Rahmen für diesen neuen Umgang mit Fehlern bildet die positive Fehlerkultur.

Eine Definition der positiven Fehlerkultur

Der bislang (und in vielen Unternehmen immer noch) übliche Umgang mit Fehlern ist, die verantwortliche Person zu finden. Sie kennen das vielleicht selbst aus der Arbeitswelt: Ein Auftrag ist nicht rechtzeitig abgearbeitet worden, und sofort wird gefragt, wer dafür verantwortlich war. In manchen Fällen wird diese Person dann auch noch bestraft. Doch Strafen sind, das haben wir schon als Kinder gelernt, kein gutes Mittel um Fehler zu vermeiden. Sie sind eher eine Ultima Ratio bei vorsätzlichem Fehlverhalten. Aber sie helfen selten, systematische Fehler zu vermeiden – sonst würde es keine Unfälle mehr wegen Trunkenheit am Steuer oder Raserei geben.

Stattdessen können Sie lernen, mit Fehlern positiv umzugehen. Die positive Fehlerkultur bedeutet die Akzeptanz von Fehlern. Sie ist ein Appell, etwas besser zu machen oder zu verbessern. Fehler sind kein Rückschlag, sondern Teil des Weges in die Zukunft.

Japaner haben die Fehlerkultur perfektioniert

Kaum jemand hat das besser und früher verinnerlicht als japanische Autobauer. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Ressourcen knapp und man musste mit dem, was vorhanden war, sorgsam umgehen. Firmen wie Toyota begannen die Kaizen-Philosophie einzuführen.

Sie beruht auf der Idee der immerwährenden Verbesserung. In kleinen Schritten werden Fehler entdeckt, Ursachen gefunden und der Schritt verbessert. Fehler müssen gemeldet werden. Das geht soweit, dass auch mal die komplette Produktion angehalten wird. Der Fehler wird behoben und dann wird weitergearbeitet. Gleichzeitig sind Mitarbeiter*innen aufgefordert, auch potenzielle Fehlerquellen zu finden und Vorschläge zu machen, wie Fehler noch weiter vermieden werden können.

Viele große Konzerne, zum Beispiel der indische Fahrzeughersteller Tata, haben sich dieses Prinzip ebenfalls angeeignet.

Der erste Schritt bei einer Neuausrichtung zu einer positiven Fehlerkultur ist der Mut, Probleme anzusprechen. In einer Studie von EY (früher Ernst und Young)  haben 80 Prozent der befragten Führungskräfte zugegeben, Fehler gemacht zu haben. Diese betrafen den Betriebsablauf, wichtige Projekte und haben sogar finanziellen Schaden verursacht. Aber nur 45 Prozent der Beschäftigten gaben an, dass ihre Vorgesetzten Fehler auch eingestehen. Beim Vorstand meinen nur 40 Prozent der Mitarbeiter*innen, dass Fehler zugegeben werden. In klassischen Hierarchien wird die Verantwortung für Fehler nach unten durchgereicht. Erfolge hingegen bleiben das Aushängeschild des Vorstands.

Menschen machen Fehler, aber in einem bestimmten Umfeld

In einem Handbuch zur Patientensicherheit veranschaulicht die Uniklinik Freiburg dieses Problem ihrem Personal:

“Auch wenn zunehmend ein Umdenken zu beobachten ist, orientiert man sich im deutschen Gesundheitswesen häufig noch an der traditionellen, personenzentrierten Fehleraufarbeitung. Hierbei steht die Person im Fokus, der der Fehler unterlaufen ist. Es kommt zu individuellen Schuldzuweisungen, Ermahnungen oder sogar Bestrafungen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Fehler Einzelner oft nur symptomatisch sind für Sicherheitslücken und Unzulänglichkeiten im Arbeitsprozess und es nur eine Frage der Zeit ist, bis einem*einer anderen Mitarbeiter*in ein ähnlicher Fehler unterläuft”.

Eine neue Sicherheits- und Fehlerkultur muss Teil der Organisationskultur werden und in alle Prozesse eingebettet sein. Fehler werden dann vermieden, wenn in allen Produktions- und Organisationsschritten die Beteiligten wachsam sind.

Die Herausforderung besteht darin, Fehler von Personen zu trennen. In der positiven Fehlerkultur geht es nicht darum, wer den Fehler gemacht hat, sondern warum er passiert ist.

Wenn an einer Maschine Schrauben nicht fest genug angezogen werden, dann ist wahrscheinlich die Spezifikation nicht richtig. Die kann an einem Rechenfehler liegen, oder die Maschine selbst berechnet die Daten falsch. Die Person an der Maschine hat das vielleicht bemerkt, wusste aber nicht so recht, ob das wichtig ist oder nicht. Und hier kommt die positive Fehlerkultur zur Blüte: Wer Fehler und Probleme vermutet, muss motiviert werden, darauf aufmerksam zu machen.

Positive Fehlerkultur einführen

Eine positive Fehlerkultur, wie auch die Unternehmenskultur, wächst langsam. Sie können das nicht von heute auf morgen einführen. Aber ein Plan und die richtigen Maßnahmen können das Wachstum durchaus beschleunigen. Und da Sie auch aus Fehlern von anderen lernen können, sind ähnliche Maßnahmen anderer Unternehmen ein gutes Beispiel:

Wie die Gießerei Gienanth GmbH im pfälzischen Eisenberg. Hier wollte die Leitung ein modernes Qualitätsmanagementsystems auf Basis des strengen IATF-Standards für die Automobilindustrie einführen. Wie konnten die Mitarbeiter*innen aber in der laufenden Produktion lernen, mit Fehlern umzugehen? Die Projektleiterin Veronika Zweck bediente sich einer ebenfalls japanischen Methode, dem Dojo. Das ist aus der Kampfkunst abgeleitet und bezeichnet einen Übungsraum. Genau den richtete das Unternehmen für Arbeiter*innen ein. Sie konnten hier lernen, Fehler zu entdecken und in einem festgelegten Prozess zu berichten.

Wie gut das funktioniert, zeigt sich in der Fahrzeugfertigung des Rüstungskonzerns GDELS. Hier erkannte ein Montagemitarbeiter, dass sich die Lagerung eines Radantriebs nicht in die vorgefertigte Bohrung fügen ließ. Er meldete das Problem umgehend, es gab eine Anweisung an die Ingenieur*innen und die Pläne wurden so verändert, dass der Fehler nicht mehr auftrat. Das geht aber nur, wenn solche Meldungen auch eine entsprechende Priorität haben und nicht in der firmeninternen Bürokratie wochenlang unterwegs sind.

Die ersten fünf Tipps für eine positive Fehlerkultur

1. Analyse, wie bislang mit Fehlern umgegangen wird

Nehmen Sie sich etwas Zeit und schauen Sie einmal in Ihrem Unternehmen nach, wie bislang mit Fehlern umgegangen wird. Wie werden sie gemeldet? Wer darf einen Fehler melden? Wie wird diese Nachricht bearbeitet? Wer behebt den Fehler? Wer (oder was) ist für den Fehler verantwortlich? Haben Mitarbeiter*innen Angst, Fehler einzugestehen?

2. Einen Prozess festlegen

Wenn Fehler passieren, müssen sie in einem genau festgelegten Prozess gemeldet werden. Dieser Prozess sollte natürlich so kurz wie möglich sein. Es ist besser, mehrere Beteiligte gleichzeitig zu informieren und diese zu einem Team zusammenzusetzen, als den Fehler vertikal durch die Unternehmensstrukturen zu tragen. Zum Prozess gehört ein Meldeformular, auf dem neben dem Fehler schon Ideen zur Ursache und Vermeidung festgelegt werden können.

3. Belohnungssystem etablieren

Damit Ihre Mitarbeiter*innen ermutigt werden auf Fehler aufmerksam zu machen, können Sie ein Belohnungssystem einführen. Das kann analog zu einem innerbetrieblichen Vorschlagswesen funktionieren. Selbst wer Fehler macht, kann gelobt werden, wenn diese nicht fahrlässig oder vorsätzlich gemacht wurden, sondern dabei helfen, Abläufe zu verbessern.

4. Testläufe machen

Vor einer Einführung einer neuen Fehlerkultur sollten Sie das System in einem Teilbereich ausprobieren, einer Abteilung oder einem Team. So können Sie testen, ob die Prozesse funktionieren. Und die Mitarbeiter*innen können im Test schon mal erfahren, ob sie Fehler in diesem System auch richtig melden.

5. Mitarbeiter*innen informieren und schulen

Die Umsetzung einer positiven Fehlerkultur braucht Zeit, und Sie sollten Ihre Mitarbeiter*innen entsprechend schulen. Sie können in Workshops lernen, wie die Fehlermeldung als Prozess funktioniert, und in einem spielerischen Umfeld Fehler machen.

Fehlerbewusstsein im Firmenalltag

Wie gut man aus Fehlern lernen kann, zeigt eine Anekdote aus den USA. Der Chemiker Charles Nelson Goodyear arbeitete mit Naturkautschuk, hatte aber das Problem, dass dieser bei Wärme schnell schmolz und bei Kälte zerbrach. Er versuchte Mischungen, unter anderem mit Schwefel. Aus Versehen fiel ein Teil der Mischung auf eine heiße Herdplatte. Als der Klumpen abkühlte, blieb der Gummi weiterhin elastisch. Er hatte – aus Unachtsamkeit – die Vulkanisierung entdeckt und damit das für Reifen so wichtige Hartgummi.

Was das Beispiel zeigen soll, ist, dass man sich einen Fehler aus mehreren Perspektiven anschauen sollte. Goodyear hat sich sicherlich geärgert, als die Herdplatte verschmutzt wurde. Aber dann schaute er sich die Situation und das Ergebnis an. Manchmal kann ein solches Missgeschick eben auch neuen Erfindungen den Weg bereiten.

Fehler kann man sogar feiern

Nicole Kobjoll, die Geschäftsführerin des Hotel Schinderhof in Nürnberg, kennt das aus eigener Erfahrung. Sie hatte einst die Idee, einen Wasserfall im Hotel zu installieren. Der sollte Frische und Natur ins Innere bringen. Alle waren begeistert, bis man feststellte, dass die Teilnehmer*innen von Tagungen und Meetings ständig den Raum verließen. Das Geplätscher schlug ihnen auf die Blase. Für Kobjoll war das ein Heureka-Moment: Sie war sich zwar des Fehlers bewusst, wollte aber auch ein Signal setzen, immer wieder neue Dinge auszuprobieren. Und wenn die schief gehen, ist das ein Grund zu Feiern. Alle zwei bis drei Monate werden bei der Firmenparty die besten Fehler ausgezeichnet und es wird mit Champagner darauf angestoßen.

5 weitere Tipps für eine positive Fehlerkultur im Unternehmen

Neben den administrativen Maßnahmen wie Fehlermeldungs-Prozessen ist aber auch die Führung gefragt, eine positive Fehlerkultur zu fördern. Hier kommen die weichen Faktoren ins Spiel. Wenn es um Motivation geht, spielen Emotionen und das Befinden eine große Rolle. Oft haben Beschäftigte einfach nur Angst, sich zu melden. Hier können Sie als Führung Ihre Mitarbeiter*innen ermutigen und für eine positive Fehlerkultur begeistern.

6. Mit gutem Beispiel vorangehen

Fehler sollten öffentlich gemacht werden und es ist durchaus hilfreich, wenn eine der ersten Meldungen aus der Führung kommt. Sie können zum Beispiel beim halbjährlichen Meeting darlegen, warum die Verkaufszahlen zu hoch eingeschätzt wurden, welchen Einfluss das auf die Produktion hatte und wie in Zukunft die Schätzung besser ablaufen soll.

7. Experimentieren

Mitarbeiter*innen dürfen Fehler machen und damit experimentieren. Wer keine Fehler machen will, geht auch keine Risiken ein. Wer nichts riskiert, kann keine neuen Ideen einbringen. Zur positiven Fehlerkultur gehört, das Risiko entsprechend einschätzen zu können.

8. Kontext schaffen

Das größte Problem einer neuen Fehlerkultur ist der Wandel von der personen-fixierten zu einer kontext-basierten Lösung. Das bedeutet, dass gemeinsam die Ursache und nicht der*die Verursacher*in gefunden werden muss und dass aus dem Fehler gemeinsam gelernt wird. Dazu muss der Kontext, wie der Arbeitsprozess oder eine Produktionsanlage betrachtet werden.

9. Laufende Überprüfung

Wie alle Prozesse und Verfahren kann auch der Umgang mit Fehlern irgendwann zur Routine werden. Wenn einfach nur das Protokoll am Abend abgehakt wird, dann werden irgendwann wichtige Dinge übersehen. Hier helfen regelmäßige Zusammenkünfte, in denen über Verbesserungen und neue Trends und Techniken bei der Fehlersuche gesprochen wird. Die Ergebnisse und Erfahrungen können auch Bestandteil eines regelmäßigen HR-Berichts sein.

10. Lob aussprechen

Wenn Fehler gemacht und gemeldet wurden, sollte dieses Verhalten auch gelobt werden. Das Ausmaß hängt natürlich von der Größenordnung ab. Übrigens können auch Fehler von anderen bekannt gemacht werden, wenn das auffällt. Wenn der*die Kolleg*in vergessen hat, am Dienstende eine Maschine abzuschalten, dann kann das natürlich ins Fehlerprotokoll aufgenommen werden – und dem*der Kolleg*in gedankt werden. Wird dann auch noch ein Vorschlag gemacht, wie man das verhindern kann, ist das auch einen Eintrag ins Intranet oder an die Mitteilungstafel wert.

Positive Fehlerkultur auf einen Blick

Um eine positive Fehlerkultur in Ihrem Unternehmen einzuführen, werden Sie bei sich selbst anfangen müssen. Es braucht einen Mindset-Wechsel von persönlicher Verantwortung zu einem System-Ansatz. Positive Fehlerkultur setzt immer voraus, dass es um Fehler geht, aus denen gelernt werden kann. Das schließt Nachlässigkeit und fehlendes Verantwortungsbewusstsein für den eigenen Arbeitsbereich aus.

Es geht darum, dass man aus Fehlern Erfahrungen sammeln kann, dass durch das Erkennen Abläufe verbessert und zum Teil auch Schaden abgewendet werden kann.

Zu Ihrer inneren Einstellung wird dann auch die Einsicht gehören, dass Fehler eben passieren. Sie zu vermeiden geht am besten, wenn das Viele-Augen-Prinzip angewendet wird. Jeder Ihrer Mitarbeiter*innen ist aufgerufen, an der der ständigen Verbesserung und Fehlervermeidung mitzuarbeiten. Das kann dann auch entsprechend belohnt und öffentlich gemacht werden.

Wenn Ihre Mitarbeiter*innen keine Angst mehr haben, einen Fehler einzugestehen, dann haben Sie einen sehr großen Schritt in Richtung einer positiven Fehlerkultur gemacht.

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