In Zeiten einer drohenden Rezession setzen viele Unternehmen auf ein HRIS anstelle eines spezialisierten Bewerbermanagement-Systems. Der Grund: Sie sind oft zögerlich, in spezialisierte Systeme zu investieren und setzen daher lieber auf All-in-one-Lösungen als eine scheinbar sichere Alternative.
Grund dafür sind Budgetkürzungen innerhalb der Abteilung, sodass am Recruiting gespart wird. Solche Entscheidungen werden jedoch häufig durch Personen getroffen, die sich über die Nachteile eines HRIS nicht bewusst sind. Denn diese bieten weniger Möglichkeiten für das Recruiting.
Bei der Frage, ob ein Bewerbermanagement-System oder eine All-in-one HR-Software gewählt werden soll, handelt es sich demnach um eine Entscheidung von großer Tragweite. Schließlich nehmen das Recruiting und die Auswahl der richtigen Mitarbeiter*innen direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg. Es lohnt sich daher, sich mit den Unterschieden und den jeweiligen Vor- sowie Nachteilen eines Bewerbermanagementsystems sowie HRIS vertraut zu machen.
Bewerbermanagement-System vs. HRIS: Worin liegt der Unterschied?
Um eine bestmögliche Entscheidung zu treffen, gilt es erst einmal die Unterschiede zwischen dem Bewerbermanagement-System und einer HR-Gesamtlösung zu verstehen. Diesbezüglich halten sich nämlich einige Vorurteile hartnäckig: Oftmals wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass ein Bewerbermanagement-System in einem HRIS ohnehin enthalten ist, sprich die Funktionen beider Systeme zur Verfügung stehen. Das stimmt jedoch nicht, denn ein Bewerbermanagement-System bietet spezifischere und damit mehr Funktionen als ein HRIS.
Weiterhin wird angenommen, eine Kombination aus HRIS und integriertem Bewerbermanagement-System sei prinzipiell günstiger als die Implementierung zweier verschiedener Systeme. Auch das stimmt in dieser Form nicht. Dies macht bereits deutlich, wie komplex die Thematik ist und dass schnelle Entscheidungen nicht die richtige Herangehensweise sind. Stattdessen ist es wichtig, die Besonderheiten der beiden Recruiting-Tools genauer zu verstehen.
Bewerbermanagement-System
Das Bewerbermanagement-System wird auch ATS genannt – kurz für Applicant Tracking System. Es stellt eine hochspezialisierte Software dar, die dabei hilft, typische Tätigkeiten im Recruiting einfacher oder besser zu gestalten. Ziel ist, durch ein systematisches Vorgehen den Rekrutierungsprozess effizienter und erfolgreicher zu machen.
Dafür kommt eine sogenannte Insellösung zum Einsatz, auch „Best-of-Breed“ genannt. Sie wurde perfekt auf den jeweiligen Einsatzbereich maßgeschneidert und bietet Schnittstellen zu anderen Insellösungen wie z.B. zu einem HRIS. Somit lässt sich durch viele Einzellösungen ein ganzheitliches Netz entwickeln, das optimal auf die individuellen Recruitingbedürfnisse angepasst ist. Gleichzeitig wird für jeden Prozess nicht nur irgendein, sondern das optimale Tool verwendet.
All-in-one HR-Software
Ein Human Resources Information System, auch HRIS genannt, bietet mehr Funktionen. Dadurch sind keine Insellösungen notwendig, sondern die Nutzer*innen erhalten sozusagen alles aus einer Hand. Das betrifft das Recruiting, aber auch das Onboarding, das Talent Management, die Zeiterfassung sowie viele weitere HR-Bereiche.
Eine All-in-one HR-Software bietet somit einen hohen Komfort für die Nutzer*innen in einer einheitlichen Benutzeroberfläche sowie ohne Schnittstellen. Auf den ersten Blick werden alle HR-Aufgaben abgebildet. Es handelt sich sozusagen um die „One-size-fits-all“-Lösung, die jedoch auf den zweiten Blick nicht ohne Nachteile für das Recruiting kommt.
Individuelle Auswahlkriterien definieren
Nur, wer die Unterschiede sowie die Vor- und Nachteile der beiden Systeme kennt, kann demnach im Einzelfall die richtige Entscheidung treffen. Dabei müssen individuelle Kriterien als Grundlage dienen, weshalb der erste Schritt stets in der Erstellung eines Anforderungsprofils liegt.
Die Entscheidung für eine HR-Gesamtlösung oder das Bewerbermanagement-System muss daher auch mit Blick in die Zukunft getroffen werden.
Der Fachkräftemangel und die Digitalisierung sind diesbezüglich wichtige Stichworte. Denn eine Software im Unternehmen zu implementieren, ist ein zeit- sowie kostenaufwändiger Prozess. Veränderungen oder sogar ein vollständiger Austausch sollten so selten wie möglich stattfinden.
Weitere Faktoren, die für die Entscheidungsfindung relevant sind, sind die Unternehmenskultur sowie die Organisation. Hierbei gilt der Grundsatz: Nicht das Unternehmen sollte sich an die Software anpassen, sondern umgekehrt. Auch zu Ihnen muss die gewählte Lösung daher passen.
Nachdem der Kriterienkatalog entworfen wurde, besteht der nächste Schritt also darin, die verfügbaren Optionen darauf zu überprüfen, ob sie zum Anforderungsprofil passen.
Vor- und Nachteile von All-in-one HR-Software
Bei dieser Prüfung gilt es abzuwägen, welche Vor- sowie Nachteile das jeweilige System mit sich bringt, um herauszufinden, ob das ATS oder HRIS für den Einzelfall besser geeignet ist. Einige Punkte, die bei dieser Entscheidung relevant sind, wurden bereits angesprochen: Die Flexibilität beispielsweise oder die bereits bestehende IT-Infrastruktur im Unternehmen.
Die eine richtige Lösung für alle gibt es bei der Frage Bewerbermanagement-System vs. HRIS nicht. Stattdessen bringen beide Varianten individuelle Vor- und Nachteile mit sich. Bei einer HR-Gesamtlösung sehen diese beispielsweise wie folgt aus:
Vorteile von HRIS
- Die Benutzeroberfläche bleibt bei allen Funktionen dieselbe, sodass sich die Mitarbeiter*innen nicht jedes Mal neu mit einem Tool auseinandersetzen müssen. Das bedeutet ein hohes Maß an Usability sowie eine Zeitersparnis und einen geringeren Schulungsaufwand.
- Alle wichtigen Daten werden an einer zentralen Stelle gesammelt und verarbeitet. Das spart Zeit sowie Aufwand und erhöht die Datensicherheit.
- Es gibt keine Schnittstellen zwischen den einzelnen Tools, was die Fehleranfälligkeit der Software verringert. Auch dies bedeutet zudem ein geringeres Risiko von Datenverlusten, denn die Datenübertragung funktioniert einfacher und effizienter.
- Das HRIS stellt übersichtliche Statistiken zu allen inbegriffenen Bereichen zur Verfügung und ermöglicht deren Kombination, wann immer diese interessant ist. Somit kann das Monitoring und Reporting von der Komplettlösung profitieren.
- Fragen der Rechtssicherheit müssen bei der All-in-One HR-Software nur einmal beantwortet werden, was den internen Aufwand verringert. Selbiges gilt bei der Kalkulation und Budgetierung, denn die Kosten, Lizenzgebühren & Co. sind übersichtlicher.
Nachteile von HRIS
- Es handelt sich um ein Generalisten-Tool, sodass es bei speziellen Anforderungen nicht immer optimale Funktionen bietet. Oftmals wird es so formuliert: Alleskönner können zwar alles, aber nicht alles gut. Es fehlt der Software an Tiefe, was Arbeitsprozesse negativ beeinflussen kann, beispielsweise hinsichtlich der Praktikabilität oder Effizienz.
- Eine HR-Gesamtlösung bringt so viele Funktionen mit sich, dass stets auch Überflüssige darunter sind. Dadurch leidet die Übersichtlichkeit und es fallen unnötige Kosten an.
- Die Bedienung kann auf den ersten Blick kompliziert, ja überfordernd wirken. Dadurch kommt es eventuell zu Fehlern oder Hemmungen bei den Mitarbeiter*innen. Umso wichtiger sind regelmäßige Schulungen, die jedoch zeit- sowie kostenintensiv sind.
- Eine Veränderung oder Aktualisierung der Software ist kaum möglich, sprich sie bietet nur eine geringe Flexibilität. Dadurch kann es schon nach vergleichsweise kurzer Zeit notwendig werden, ein ganz neues System zu implementieren, um sich an interne oder externe Veränderungen anzupassen.
- Auch die Implementierung ist aufwändiger, teurer sowie zeitintensiver, da diese über mehrere Abteilungen hinweg koordiniert werden muss.
- Die verschiedenen Funktionen einer All-in-one HR-Software werden im Arbeitsalltag zumeist von unterschiedlichen Personen genutzt. Überschneidungen sind selten, sodass eine Komplettlösung manchmal überflüssig ist.
- Es besteht eine große Abhängigkeit gegenüber dem Anbieter, was zu Kosten- oder anderen Nachteilen führen kann, beispielsweise beim Support. Die Hürde, gegebenenfalls zu einem anderen Anbieter zu wechseln, ist jedoch höher, je mehr Unternehmensbereiche von dieser Entscheidung betroffen sind – sprich je umfassender die Software genutzt wird.
- Zuletzt sind Komplettlösungen teurer als kleinere, hochspezialisierte Tools. Die Investition lohnt sich daher nur, wenn alle Funktionen genutzt werden, was in den wenigsten Unternehmen zutrifft.
So viele Vorteile die All-in-one HR-Software auf den ersten Blick bietet, so viele Nachteile bringt sie auf den zweiten Blick mit sich. Das bedeutet nicht, dass sie prinzipiell die falsche Entscheidung darstellt. Jedoch ist es wichtig, auch die Nachteile zu kennen und diese gegenüber dem Einsatz eines ATS abzuwägen.
Vor- und Nachteile von Bewerbermanagement-System
Ein Bewerbermanagement-System bringt im Vergleich weniger Nachteile mit sich. Allerdings muss hierbei zwischen den einzelnen Software-Angeboten differiert werden. Es kann somit nur ein allgemeiner Vergleich angestellt werden, welche Lösung für ein Unternehmen prinzipiell die bessere Wahl ist. Daraufhin gilt es, einen passenden Anbieter auszuwählen und noch einmal im Einzelfall die Vor- sowie Nachteile zu überprüfen. Pauschal ausgedrückt, sehen diese bei einem „Best-of-Breed“ wie folgt aus:
Vorteile von Bewerbermanagement-Systemen
- Die Tools enthalten genau die Funktionen, die im Arbeitsalltag benötigt werden, um Bestleistungen beim Recruiting zu erbringen – bei der Zufriedenheit von Bewerber*innen und Mitarbeiter*innen, bei der Produktivität und in vielen weiteren, auch HR-spezifischen, KPIs.
- Es handelt sich sozusagen um ein Baukastensystem, das flexibel an den individuellen Bedarf angepasst werden kann. Dadurch muss immer erst dann in ein Tool investiert werden, wenn es tatsächlich gebraucht wird. Dies senkt die Erstinvestition und damit auch das Kostenrisiko gegenüber einer HR-Gesamtlösung.
- Die Software ist kleiner und damit auch übersichtlicher sowie einfacher in der Bedienung. Schulungen sind nur selten notwendig sowie weniger zeitintensiv.
- Die Kosten für ein Bewerbermanagement-System sind deutlich geringer, was oftmals auch für ein ganzes System aus Insellösungen gilt. Denn so müssen nur jene Funktionen bezahlt werden, die das Unternehmen auch tatsächlich braucht und nutzt.
- Das Bewerbermanagement-System bietet ein hohes Maß an Flexibilität. Es kann jederzeit verändert, aktualisiert oder ausgetauscht werden, ohne dass andere Abteilungen davon maßgeblich betroffen sind.
- Durch moderne Schnittstellen ist die Anbindung an andere Systeme trotzdem problemlos möglich, sodass die IT-Infrastruktur optimal an den individuellen Bedarf angepasst werden kann.
- Mittlerweile gibt es eine so große Auswahl an hervorragend kompatiblen Insellösungen, dass sie ganz einfach zu einem Komplettsystem verbunden werden können. Dass eine einheitliche Oberfläche fehlt, fällt dabei nur selten auf – denn wie vorab erwähnt, arbeiten meist unterschiedliche Mitarbeiter*innen mit verschiedenen Tools.
- Die Einführung findet schnell, effizient und ohne Koordinationsaufwand statt. In vielen Fällen können kleine Tools wie ein Bewerbermanagementsystem sogar ohne externe Hilfe und damit auch ohne Zusatzkosten implementiert werden.
- Das Verhältnis zum Anbieter ist bei einem Bewerbermanagement-System eher partnerschaftlich als abhängig. Bei Problemen kann er daher vergleichsweise schnell und kostengünstig gewechselt werden, was die bei den HRIS genannten Risiken minimiert.
Nachteile eines Bewerbermanagement-Systems
- Das Bewerbermanagement-System bildet im Gegensatz zur All-in-one HR-Software nicht alle HR-Funktionen ab, wodurch die Nutzung verschiedener Systeme notwendig werden kann.
- Für jedes Tool müssen erneut rechtliche Fragen wie jener zum Datenschutz geklärt werden.
- Es ist in regelmäßigen Abständen die Einführung von neuen oder Migration von bestehenden Systemen notwendig.
Im Gegensatz zum HRIS als Alleskönner ist ein Bewerbermanagement-System also ein Spezialist. Dies bedeutet nicht nur im Recruiting ein großes Plus für den Komfort und die Effizienz der täglichen Arbeit.
HRIS und Bewerbermanagement-System verbinden – ist das sinnvoll?
In vielen Unternehmen weicht die HR-Gesamtlösung daher früher oder später einer Mischform. Es wird also zu Beginn auf ein HRIS gesetzt, doch der Einsatz in der Praxis macht deutlich, dass einzelne Funktionen fehlen. Also wird es durch verschiedene „Best-of-Breeds“ ergänzt. Das ist durchaus möglich.
Eine solche Verbindung kann sozusagen das Beste aus beiden Welten bieten, sofern sie sinnvoll gestaltet wird. Schließlich sind im Recruiting-Software Vergleich die Vor- sowie Nachteile beider Lösungen ersichtlich geworden. Ziel muss also sein, dass sie gegenseitig ihre Nachteile eliminieren und ihre Vorteile verstärken. Dann kann die Investition in beide Recruiting-Tools durchaus sinnvoll sein.
Die Frage muss daher nicht unbedingt Bewerbermanagement-System vs. HRIS lauten, sondern vielmehr: Wie können die Beiden miteinander kombiniert werden? In solchen Fällen kann eine HR-Gesamtlösung als Grundlage genutzt werden, um sie durch Insellösungen wie ein ATS Bewerbermanagement zu vervollständigen, wo immer diese sinnvoll sind. Dadurch entsteht eine ganzheitliche, aber dennoch maßgeschneiderte All-in-one HR-Software mit allen Vorteilen der „Best-of-Breeds“.
Damit es in solchen Fällen nicht zu Problemen kommt, ist es wichtig, eine Verbindung von HRIS und ATS klar zu strukturieren und zu kommunizieren. Dann kann sie die HR-Performance maximieren. Im Zweifelsfall ist jedoch ein Netz aus individualisierten Insellösungen die bessere Wahl. Ganz auf spezialisierte ATS zu verzichten, ist in Zeiten des „War for Talents“ und der Digitalisierung hingegen kaum noch möglich.