Das Bewerbungsgespräch ist eines der wichtigsten Methoden bei der Personalauswahl. Auch wenn die Kandidat*innen bereits Tests oder Simulationen durchlaufen haben, ergibt sich oft erst im persönlichen Gespräch, ob man zueinander passt.
Das Interview soll eine solide Grundlage für die Auswahlentscheidung bilden. Doch Vorsicht! Interviewer Bias kann den Bewertungsprozess verfälschen.
Oft wird unsere Urteilsfähigkeit von verschiedenen kognitiven Verzerrungen, den Unconscious Biases, beeinflusst. Als menschliche Wesen lassen wir uns oft von unserer Wahrnehmung täuschen und zu unbewussten Fehlern hinreißen. Ein vollkommen unvoreingenommenes Beobachten und Bewerten ist dann leider reine Illusion.
Hier erfahren Sie, was der Interviewer Bias ist und welche Fallstricke dadurch in Bewerbungsgesprächen lauern. Natürlich geben wir Ihnen auch Tipps mit auf den Weg, wie Sie dagegen vorgehen können.
Was ist der Interviewer Bias?
Als Interviewer Bias, auch Interviewereffekt genannt, bezeichnet man die Ergebnisverzerrung durch die Interviewer*innen von Vorstellungsgesprächen.
Meistens tritt der Interviewereffekt unbewusst auf. Der*die Interviewer*in lässt sich dabei durch bestimmte Charakteristika des Gegenübers oder Informationen indirekt beeinflussen. Dazu zählen unter anderem:
- Alter
- Geschlecht
- Auftreten und Verhalten
- Hautfarbe und Aussehen
- Sprechweise
- Ausbildung
Allerdings können Interviewer*innen den Ausgang des Gesprächs auch bewusst beeinflussen. Beispielsweise durch:
- Ihr Auftreten
- Ton und Sprechweise
- Formulierung der Fragen
- Hinweise zur Beantwortung der Fragen
- Interpretation der Antworten
Diese Faktoren beeinflussen das Verhalten beider Gesprächspartner*innen und können sich auf Antworten und Reaktionen der Befragten auswirken. Achtung! Der sogenannte Interviewereinfluss funktioniert in beide Richtungen: Er kann den Ausgang von Interviews sowohl negativ als auch positiv beeinflussen.
Wegen der Vielzahl der Faktoren ist es schwierig, diese Verfälschungen völlig zu vermeiden. Es hilft aber schon zu wissen, welche Fallstricke lauern.
8 Arten des Interviewer Bias
Eine Vielzahl von unterschiedlichen kognitiven Verzerrungen beeinflussen unterbewusst den Ausgang von Interviews. Hier erklären wir die acht Fallstricke, die am häufigsten auftreten:
1. Pygmalion-Effekt (auch Rosenthal-Effekt)
Es ist nicht selten, dass Interviewer*innen als Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche den Lebenslauf noch einmal durchgehen oder kurz einen Blick auf das LinkedIn-Profil der Kandidat*innen werfen. Dies könnte allerdings schon das Fundament für den Pygmalion-Effekt legen, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Beispielsweise, hat eine Bewerberin an einer bekannten Universität studiert. Sie muss daher sehr intelligent sein. Solche Vorinformationen haben das Potenzial, unsere Wahrnehmung der Kompetenzen und Qualifikationen der Bewerbenden zu verzerren.
2. Stereotypisierungen
Stereotypen sind Annahmen über bestimmte Gruppen von Menschen, z. B. Frauen, Männer, ältere Personen oder Behinderte. Unbewusst werden bestimmte Erwartungen und Vorstellungen mit den Mitgliedern dieser Gruppen verknüpft, beispielsweise, wie sich diese normalerweise verhalten, wie sie aussehen, sich kleiden oder welche Fähigkeiten sie haben.
Alt eingefahrene Stereotypen sind, zum Beispiel, dass Frauen sich nicht für Technik eignen oder Menschen aus bestimmten Kulturkreisen chronisch unpünktlich sind. Diese können negative Auswirkungen auf die Beurteilung des Gesprächs haben.
3. Halo-Effekt (Heiligenschein-Effekt)
Erhalten wir aufgrund des Aussehens und Verhaltens einer Person einen positiven Gesamteindruck von unseren Gesprächspartner*innen, neigen wir dazu, diesen automatisch auch andere positive Eigenschaften zuzuweisen (wie Ehrlichkeit, Intelligenz oder Freundlichkeit) – auch wenn sich dies nicht durch Fakten unterstützen lässt.
Das funktioniert auch umgekehrt: Im Gegensatz zum Halo-Effekt sprechen wir von dem Teufelshörner-Effekt, wenn wir Personen Qualifikationen oder Fähigkeiten absprechen, die vom Aussehen oder Verhalten her nicht unseren Erwartungen entsprechen.
4. Similarity Bias
Wir tendieren dazu, Menschen positiver zu bewerten, die uns ähnlich sind. Gemeinsamkeiten, wie der gleiche Geburtsort, die gleiche Ausbildung oder ein ähnlicher Karriereweg, wecken sofort Sympathie und Vertrauen. Doch meistens haben diese Tatsache keinerlei Auswirkung auf die Eignung der Bewerbenden.
5. Affektheuristik
Werden Meinungen oder Entscheidungen aus einem reinen Gefühl heraus gebildet, dann spricht man von der Affektheuristik. Die Gefühle entstehen automatisch und werden oft nicht einmal bewusst empfunden. Sollen wir dann unsere Entscheidung erklären, tendieren wir dazu, diese zu rationalisieren.
Hat ein*e Interviewer*in beispielsweise eine unbewusste Antipathie gegen einen Kandidaten entwickelt, wird er*sie dessen Qualifikationen und Fähigkeiten tendenziell als schlechter einschätzen. In der Diskussion mit Kolleg*innen würde er*sie wahrscheinlich nach Gründen für die eigene Meinung suchen.
6. Ankereffekt
Der erste Eindruck zählt, so viel ist klar. Dass sich dadurch aber oft Erwartungen und Meinungen verankern, die auf den Ausgang des Gesprächs Einfluss nehmen, ist weniger bekannt.
Dies nennt man den Ankereffekt. Zum Beispiel kann ein selbstbewusster, fester Händedruck bei der Begrüßung einen positiven Eindruck erwecken, den der*die Interviewer*in zu bestätigen sucht. Dies führt uns zum nächsten Punkt.
7. Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)
Dieser tritt immer dann auf, wenn Interviewer*innen nur noch solche Informationen aufnehmen, die zuvor gestellte Erwartungen bestätigen. Alles, was nicht ins Weltbild passt, wird oft einfach ausgeblendet.
Laszlo Bock, früherer Personalchef von Google, brachte es auf den Punkt mit der Aussage:
„Die meisten Einstellungsgespräche sind reine Zeitverschwendung, weil 99,4 % der Zeit mit der Bestätigung des Eindrucks verbracht werden, den der Interviewer zuvor gewonnen hat.“
8. Overconfidence Bias
Zu guter Letzt ist dies die kognitive Verzerrung, die alle anderen verschlimmert. Wir neigen dazu, unsere eigenen Fähigkeiten und Talente zu überschätzen. Deshalb halten viele Interviewer*innen an dem Glauben fest, vollkommen voreingenommen zu bewerten. Wenn wir uns allerdings eingestehen, dass dies nicht der Fall ist, können wir die richtigen Schritte zur Besserung gehen.
Was können Sie gegen den Interviewer Bias tun? 7 praktische Tipps
Ganz vermeiden lassen sich die kognitiven Verzerrungen wohl nie. Dennoch können wir einiges tun, um ihre Auswirkungen auf Personalentscheidungen zu begrenzen.
Neben Schulungen und Trainings zu unbewussten Vorurteilen können auch kollaborative Recruitingmethoden helfen, den Bewerbungsprozess fair zu gestalten. Mit den folgenden sieben Tipps gelingt es Ihnen, Vorurteile zumindest zu reduzieren.
1. Gehen Sie möglichst neutral in das Gespräch
Um zu vermeiden, dass Vorinformationen aus dem Lebenslauf oder Social Media Profilen Ihre Wahrnehmung beeinflussen, empfiehlt es sich, diese auf ein Minimum zu reduzieren. Schauen Sie sich nur die Informationen an, die Sie wirklich brauchen.
2. Führen Sie strukturierte Vorstellungsgespräche
In einem strukturierten Interview werden allen Kandidat*innen dieselben Fragen gestellt. Im Gegensatz zu freien Bewerbungsgesprächen, in denen Fragen spontan gestellt werden, ist so mehr Objektivität, Vergleichbarkeit und Fairness gewährleistet.
Bevor Sie eine Interviewrunde beginnen, sollte der Fragenkatalog mit allen Beteiligten abgestimmt sein. Jede Frage, die gestellt wird, muss einen Sinn und Zweck haben und zu einem Ziel führen.
3. Legen Sie das Bewertungsschema fest
Um Subjektivität bei der Bewertung weiter zu reduzieren und eine bessere Vergleichbarkeit der Kandidat*innen zu gewährleisten, könnten Sie schon im Vorfeld definieren, wie eine gute bzw. eine schlechte Antwort auf eine Frage aussieht.
Überlegen Sie sich dafür, was eine ideale Reaktion auf eine Frage wäre. Kommen Bewerbende auf die gleiche Lösung, wurde die Anforderungen erfüllt. Hören Sie eine bessere oder eher schlechtere Antwort, wird entsprechend bewertet.
Tipp: In einem Bewerbermanagement-System wie Recruitee können Sie individuelle Bewertungsformulare erstellen, mit denen Sie eine faire Bewertung von Kandidat*innen durch alle Interviewer*innen gewährleisten. Hier erfahren Sie mehr.
4. Protokollieren Sie Antworten sofort
Um alle Gespräche objektiv auswerten zu können, sollten die Antworten so schnell wie möglich protokolliert und bewertet werden – am besten direkt während des Interviews. Das gelingt mit einem vorgefertigten Bewertungsformular.
Damit lassen sich die Antworten schnell einstufen und mit einer Benotung versehen. Schreiben Sie auch gern zusätzliche Notizen zum Gesagten auf, falls etwas besonders herausgestochen ist (positiv oder negativ).
5. Faire Auswertung des Gesprächs
Mit der endgültigen Auswertung und Entscheidungsfindung sollten Sie idealerweise erst beginnen, wenn alle Gespräche abgeschlossen sind.
Die Benotung anhand des Bewertungsschemas sollte bei der Kandidatenauswahl Priorität genießen, um den Interviewereinfluss so gering wie möglich zu halten.
Schon gewusst? Mit der neuen Recruitee-Funktion Faire Bewertungen können Sie, wie der Name verrät, faire Bewertungen von Kandidat*innen gewährleisten.
Denn, durch den Einsatz von Faire Bewertungen kann eine einzelne Meinung die Einstellungsentscheidung nicht beeinflussen.
Neue Bewertungen, die von anderen Teammitgliedern hinzugefügt wurden, werden dann ausgeblendet, bis die Person, die eine*n Kandidat*in noch nicht bewertet hat, eine Bewertung abgegeben hat.
So können alle am Recruitingprozess beteiligten Personen ihre Meinung frei äußern und sehen, welche*r Kandidat*in am Ende die meisten Stimmen erhält.
Hier erfahren Sie mehr zu der neuen Funktion Faire Bewertungen.
6. Führen Sie Gespräche im Team
Kommen Sie im Prozess zu unterschiedlichen Ergebnissen? Dann sollten sie sich als Gruppe zusammensetzen und Gespräche führen.
Um den fairen Bewertungsprozess zu unterstützen, sollten sich einzelne Mitarbeiter*innen, die in den Prozess involviert sind, die genauen Gründe für die abgegebene Bewertung vorab aufschreiben. So kann der Einfluss in der Urteilsbegründung durch Kolleg*innen minimiert werden.
In der Auswertung sollten erst die Bewertungen verglichen werden. Bei unterschiedlichen Meinungen hilft eine Diskussion, die Differenzen aufzudecken und zu ergründen
7. Schulen und instruieren Sie die Interviewer*innen
Fehler passieren, wenn Führungskräfte unvorbereitet Interviews durchführen. Meistens nehmen sie nicht oft genug an Bewerbungsgesprächen teil, um zu wissen, was zu tun ist.
Einstellende Manager*innen und das einstellende Team sollten deshalb in der Interviewführung geschult werden und konkrete Instruktionen von der Personalabteilung erhalten. So macht auch das Unternehmen auf die Bewerbenden einen professionellen ersten Eindruck.
Plädieren Sie für mehr Diversität im Unternehmen
Voreingenommenheiten bei der Personalauswahl können dazu führen, dass tendenziell Kandidat*innen ausgewählt werden, die der aktuellen Belegschaft sehr ähnlich sind. Dadurch entstehen homogene Teams, ohne Vielfalt.
Dass sich aber eine gewisse Diversity im Unternehmen lohnt, haben bereits unterschiedliche Studien bewiesen. Beispielsweise, ermittelte die Boston Consulting Group, dass Firmen mit diversen Management-Teams im Durchschnitt 19 % mehr Umsatz erwirtschaften.
Ein Lösungsansatz ist eine Diversity Management Strategie. Diese definiert alle Bemühungen der Firma, Mitarbeitende mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, Behinderungen, sowie unterschiedlichen Geschlechtern und Altersgruppen erfolgreich einzubinden.
Wie Sie Diversity Management in Ihrem Unternehmen aktiv anwenden können, erfahren Sie in unserem kostenlosen E-Book.