Bei Stellen, die viele Bewerber*innen anziehen, kann es schnell zu einer Überlastung der Recruiter*innen kommen. Die Vielzahl der Bewerbungen zu bearbeiten ist im Detail kaum möglich. Hilfreicher ist eine Bewerber*innen-Auswahl, die aus festgelegten Prozessen und Methoden besteht. Damit kann bereits am Anfang des Bewerbungsprozesses eine Auswahl getroffen werden, welche Kandidat*innen überhaupt weiterkommen. Heute kann Ihnen Software bei der Planung und Durchführung dieser Verfahren helfen und einen großen Teil der Arbeit abnehmen.
In der ersten Stufe des Bewerbungsverfahrens spielen formale Kriterien eine große Rolle. Wer diese Anforderungen nicht erfüllen kann, wird kaum für Ihre Firma geeignet sein. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, manche*r Quereinsteiger*in wäre über das normale Bewerbungsverfahren nicht eingestellt worden. Dennoch sollte der Bewerbungsprozess ein formales Bewerber*innen-Auswahlverfahren haben. Diese Verfahren sind übrigens, wie das gesamte Recruitingverfahren, zunehmend digital. Das beginnt bei den Karriereseiten Ihres Unternehmens und geht über einen digitalen Recruitingprozess, in dem Bewerber*innen bereits bewertet werden können.
Die wichtigsten Kriterien und Instrumente bei der Bewerber*innen-Auswahl
Wer sich auf eine Stelle bewirbt, sollte zumindest die wichtigsten formalen Anforderungen erfüllen. Wer Unterlagen zu spät einreicht, telefonisch nicht erreichbar ist oder bei den Referenzen eher vage ist, scheint kein wirkliches Interesse an der Stelle zu haben – oder aber wird die Arbeit nicht zufriedenstellend erledigen können. Die grundlegenden Kriterien im Bewerber*innen-Auswahlverfahren sind:
Die Bewerbungsunterlagen
- Anschreiben
- Lebenslauf
- Zeugnisse
- Referenzen
Die ersten Kontakte
- Telefon-Interview
- Assessment Center/Online-Tests
- Persönliches Interview
- Probearbeitstag
Soziale Netzwerke prüfen
Die Bewerbungsunterlagen
Es ist immer noch erstaunlich, wie viele Bewerber*innen ihre Anschreiben nicht Korrektur lesen oder die Stellenanzeige nicht verstanden haben. Für Sie als Recruiter*in bedeutet das zusätzliche Arbeit, weil Sie Bewerbungen aussortieren müssen, die sinnlos sind. Hier helfen klare Vorgaben, was die formalen Kriterien angeht.
Die Bewerbung muss fristgerecht eingereicht werden, und zwar per E-Mail. Es ist nur bei wenigen Jobs noch üblich, einen Umschlag abzugeben. Ausgedruckte Dokumente können nicht in einer Recruiting-Software bearbeitet werden. Wenn Sie also um E-Mail-Bewerbungen bitten, sollte das auch befolgt werden. Die Frist bezieht sich übrigens auf den Arbeitstag. Wenn diese der 10. Mai ist, dann können Sie Eingänge nach 22 Uhr aussortieren. Wer es nicht schafft, für einen selbst wichtige Unterlagen fertigzustellen, wird kaum besser mit Ihren Aufgaben umgehen.
Das Anschreiben sollte auf einem Computer erstellt worden sein und einigen formalen Kriterien genügen: Adresse des*der Absender*in, richtige und fehlerfreie Adresse des*der Empfänger*in, Datum, richtige Anrede, fehlerfreie Sätze. Sie sollte keine Floskeln enthalten und sich konkret auf die Stelle beziehen. Es ist heute üblich, dass Anschreiben kurz gehalten sind, weil die Qualifikationen aus dem Lebenslauf ersichtlich sind. Wer zwei Seiten schreibt, kann Dinge nicht auf den Punkt bringen und wird bei Meetings langatmige Vorträge halten. Solche Anschreiben können Sie getrost aussortieren.
Der Lebenslauf zeigt heute die berufliche Ausbildung. Welche Schule jemand besucht hat, ist nicht mehr wichtig. Der berufliche Lebenslauf sollte entweder mit einem Ausbildungsabschluss oder einem Universitätsabschluss beginnen. Es hat sich durchgesetzt, in umgekehrter chronologischer Reihenfolge zu schreiben, also mit der Stelle zu beginnen, die man zuletzt hatte. Die Ausbildung steht dann am Ende. So können Sie schnell sehen, was jemand in den vergangenen Jahren gemacht hat, und müssen Sie sich nicht die gesamte berufliche Lebensgeschichte durchlesen. Wer bestimmte Abschnitte im Berufsleben zusammenfassen kann, sollte dafür ebenfalls Pluspunkte erhalten. Weitere formale Aspekte sind ein einheitliches Datumsformat, richtig gesetzte Tabulatoren und Formatierungen.
Zu weiteren wichtigen Aspekten im Lebenslauf gehören ehrenamtliche und über die Arbeitsplatzbeschreibung hinausgehende Aktivitäten, wie freiwillige Fortbildungen. Untersuchungen haben ergeben, dass Recruiter*innen zum Beispiel sehr auf Erfahrung und soziales Engagement bei der Bewerber*innen-Auswahl achten.
Der Lebenslauf ist eine Auflistung von Fakten, aber über Referenzen können Sie mehr über den*die Bewerber*in erfahren. Wer keine Referenzen angeben kann, sollte aussortiert werden. Heute sind drei frühere Arbeitgeber*innen üblich, dabei können es Vorgesetzte oder die Geschäftsführung sein. Sie sollten außerdem aus den letzten drei Angestelltenverhältnissen kommen. Wer bislang Freiberufler*in war, kann Kund*innen als Referenzen angeben.
Die persönliche Kontaktaufnahme
Bewerber*innen, die ein wirkliches Interesse an einer Stelle haben, müssen erreichbar sein. Sie können im Anschreiben Zeiten angeben, in denen sie verfügbar sind (zum Beispiel, weil sie noch in einem Arbeitsverhältnis stehen). In diesen Zeiten müssen sie aber auch ans Telefon gehen, wenn Sie sie anrufen wollen. Sie können selbst festlegen, ob Sie eine zweite Chance geben oder nicht. Nach spätestens drei erfolglose Versuchen kann die Bewerbung weggelegt werden. Bei einer E-Mail-Kontaktaufnahme sollte die Regel sein, dass innerhalb von 24 Stunden eine Antwort erwartet wird.
Online- oder Telefoninterview
Wenn ein Termin für ein Telefoninterview vereinbart wird, sollte der*die Kandidat*in:
- Das Handy aufgeladen haben (Akku und Guthaben)
- In einer ruhigen Umgebung sitzen
- Genügend Zeit reserviert haben
- Bei einem Videointerview ordentlich angezogen sein und einen professionellen Hintergrund haben
- Die Technik geprüft haben
Heute werden immer mehr Videointerviews durchgeführt, und Sie können das auch als Interviewbedingungen angeben. Wer heute die technischen Voraussetzungen für einen Videoanruf nicht hat, dürfte für viele Jobs nicht qualifiziert sein.
Im Telefon- oder Videointerview sollten Sie darauf achten, ob die Person Ihnen oft ins Wort fällt, ob die Antworten ausschweifend sind, ob mit Floskeln gearbeitet wird oder jemand Probleme hat, ganze Sätze zu formulieren. Eine gute Kommunikation ist heute an fest jedem Arbeitsplatz wichtig, selbst in der Montage oder bei einem Sicherheitsdienst.
Eine Einladung zum Online-Test und ins Assessment Center ist eine weitere Möglichkeit, Bewerbende einzuschätzen und auszusortieren. Eine gute Recruiting-Software kann Ihnen dabei helfen, und Sie können selbst Kriterien für die Tests aufstellen. Es gibt allgemeine Tests und solche, die auf die jeweilige Stelle zugeschnitten sind. Die Online-Tests sind zeitsparender und können Ihnen bereits gute Hinweise auf die Eignung der Bewerbenden geben.
Formale Kriterien für den Test sind:
- Ist die Person technisch in der Lage, den Test online zu absolvieren?
- Wird der Test in der geforderten Zeit absolviert?
- Sind die Antworten frei von Rechtschreibfehlern?
Professionelles Assessment für die Bewerber*innen-Auswahl
Die Einladung zu einem Assessment Center wird eigentlich nur Bewerbenden zuteil, die zumindest die Basiskriterien erfüllt haben. Das Assessment ist ein aufwändiger Prozess, sowohl was die Zeit betrifft als auch die Auswertung. Es gibt natürlich Online-Versionen, in der Regel geht es aber darum, eine Person umfassend kennenzulernen. Reine datenbasierte Assessments sind in die Kritik gekommen, weil sie die wichtigen Softskills nicht abbilden.
Im Assessment-Center werden Sie Bewerber*innen durch einen Prozess führen:
- Selbst-Präsentation des Bewerbenden
- Lösung von einfachen Testaufgaben
- Komplexe Aufgabenstellungen, um Lösungsansätze zu sehen
- Test zum organisatorischen Talent
- Kleine Rollenspiele (zum Beispiel Verkaufsgespräch)
- Diskussion in einer Gruppe (für Teamverhalten)
- Lösungsvorschläge zu realen Aufgaben des Unternehmens (Produktmarketing, Entwicklung, Digitalisierung)
Es gibt externe Anbieter von Assessments, Sie können sie aber auch im Haus durchführen. Es ist dann aber besser, wenn die durchführenden Personen eine entsprechende Schulung oder Weiterbildung gemacht haben. Professionelle Assessments sind sehr aussagekräftig, aber auch zeit- und kostenintensiv. Im Bewerber*innen-Auswahlverfahren sollte eine Einladung ins Assessments Center nur ausgesprochen werden, wenn bestimmte Anforderungen schon erfüllt sind.
Künstliche Intelligenz als Test-Center
Viele Unternehmen versuchen, über Online-Tests hinaus künstliche Intelligenz und Big Data im Verfahren der Bewerber*innen-Auswahl einzusetzen. Dabei wird der Personalaufwand erheblich reduziert, außerdem können mehr Bewerbende in einem gleichen Zeitraum bewertet werden. Doch noch gibt es Bedenken beim Einsatz der Recruiting-Roboter.
Aus Sicht von Adrian Bangerter, Professor für Arbeitspsychologie an der Universität Neuenburg, hängt die Effizienz der mit KI verbundenen Algorithmen von der Qualität der zu Beginn eingegebenen Daten ab. Dabei werden die Daten, mit denen diese Tools arbeiten (zum Beispiel, was als gute Bewerbende angesehen wird), häufig aus Kostengründen selbst schon automatisiert eingespeist, ohne dass sie von HR-Teams geprüft werden. Und eine schlechte Datenbasis kann bei selbst lernenden KI-Maschinen kontraproduktiv sein. Hinzu kommt, dass die Tools wegen der geringen Datenmenge eines Unternehmens nur allgemeine Einschätzungen abgeben können.
Dennoch werden die Programme derzeit weltweit verbessert, und können zum Beispiel schon Stimmanalysen machen und die Körpersprache analysieren. Ein weiterer Vorteil: Der Computer wird auch nach 30 Bewertungen nicht müde.
Einladung zum persönlichen Interview
Der letzte Schritt im Bewerber*innen-Auswahlverfahren ist die Einladung zum persönlichen Gespräch.
Um festzulegen, wer eingeladen wird, können Sie die ABC-Regel anwenden.
A-Kandidat*innen: Die am besten für die Stelle geeigneten Kandidat*innen für die Stelle, deren Profil absolut mit der Ausschreibung übereinstimmt.
B-Kandidat*innen: Bewerber*innen, deren Profil weitgehend mit der Ausschreibung übereinstimmt und die gewünschten Kompetenzen vorweisen können.
C-Kandidat*innen: alle Bewerber*innen, die es bis zu diesem Schritt geschafft haben, aber gegenüber den A- und B-Personen weniger gut geeignet scheinen.
Sie können eventuell in den Talent-Pool aufgenommen werden.Sie sollten vorher genau festlegen, wer bei diesen Gesprächen vonseiten des Unternehmens dabei ist und welche Form das Interview haben soll. Gibt es nur noch wenige Kandidat*innen, sollten mehrere Personen dabei sein.
Eine gute Besetzung für das Interview zur Bewerber*innen-Auswahl ist:
- Vertreter*in der Abteilungsleitung/Geschäftsführung
- Direkte Vorgesetzte
- Ein*e Kolleg*in
- Ein*e Vertreter*in der HR-Abteilung
Anforderungsmatrix zur Bewerber*innen-Auswahl
Am Ende wird bei fast jedem Bewerbungsgespräch der persönliche Eindruck entscheidend sein, aber ein paar Daten können nicht schaden. Sie sind dann von großem Nutzen, wenn zwei oder mehrere Bewerber*innen gleich gut bei den Interviews abschneiden. Mit einer Anforderungsmatrix können Sie über ein Noten- oder Punktesystem festlegen, wie genau ein*e Kandidat*in die Anforderungen an eine Stelle erfüllt.
Solche Matrix-Systeme zur Bewerber*innen-Auswahl sind heute oft auch als Software in HR-Programmen integriert. Wichtig ist dabei, dass die Anforderungen für jede Stelle neu formuliert werden müssen. In dieser Matrix können beispielsweise weiche Faktoren wie Persönlichkeit, Offenheit, Neugierde und Kompetenzen wie Führungserfahrung, Entscheidungsfreudigkeit und Problemlösungsorientierung eingearbeitet werden.
Diese Matrix kann auch für die Bewertung durch Kolleg*innen zum Beispiel nach einer Probewoche verwendet werden. Sie können damit einschätzen, in welchen Bereichen die Bewerbenden besonders gut waren und wo zum Beispiel vielleicht noch weiterer Schulungs- und Trainingsbedarf besteht.
Bei der Auswertung einer Bewertungsmatrix sollten Sie aber darauf achten, dass es Gewichtungen gibt und nicht nur eine Gesamtpunktzahl als Entscheidungsgrundlage dient.
Soziale Netzwerke überprüfen
Es ist nicht ganz unumstritten unter Recruiter*innen, ob die Profile von Bewerber*innen in sozialen Netzwerken eine Rolle bei der Bewerber*innen-Auswahl spielen sollten. Der Trend geht in die Richtung, dass dies bei Businessnetzwerken wie Xing und LinkedIn kein Problem sein sollte.
Bei Facebook und Instagram sind die Informationen zwar teilweise öffentlich, sagen aber wenig über die beruflichen Qualifikationen aus. Sie können sogar in die Irre führen, wie eine Studie des Forschungsinstituts Zukunft der Arbeit herausfand:
„Kandidat*innen mit dem vorteilhaftesten Facebook-Bild erhalten ungefähr 39% mehr Einladungen zu Vorstellungsgesprächen als Kandidat*innen mit dem am wenigsten vorteilhaften Bild. Darüber hinaus finden wir Hinweise auf einen höheren Effekt des Erscheinungsbilds von Facebook-Profilbildern auf die Einstellungschancen, wenn die Kandidat*innen gut ausgebildet sind und wenn die Personalvermittler weiblich sind.”
Genau da wird es aber schon wegen der Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes schwierig. Die Empfehlung ist also, dass Sie durchaus den Lebenslauf mit den Angaben in Businessnetzwerken vergleichen können. Bei einer Bewertungsmatrix können auch berufsbezogene Beiträge in den Netzwerken Punkte einbringen.
Ihre Checkliste zur professionellen Bewerber*innen-Auswahl
Formale Kriterien
Sind folgende Unterlagen fristgerecht eingereicht?
- Lebenslauf
- Anschreiben
- Referenzen
Erfüllen die Unterlagen die formalen Kriterien?
Erfüllen Sie inhaltliche Vorgaben (Bezug auf Stelle, weitere Angaben)?
- Sind die Unterlagen sorgfältig zusammengestellt?
- Gibt es über die fachlichen Qualifikationen hinaus Kompetenznachweise?
- Welche fachlichen Kriterien müssen erfüllt sein? (Diese werden Sie für jede Stelle formulieren)
- Welche fachlichen Qualifikationen können, müssen aber nicht vorhanden sein?
- Fragen für die erste telefonische/Video-Interviewrunde. Hier legen Sie einheitlich fest, welche Fragen gestellt werden. Diese können sein:
- Was haben Sie zuletzt genau gemacht?
- Warum wollen Sie bei uns anfangen?
- Was reizt Sie an der Aufgabe?
- Was versprechen Sie sich von der Stelle?
Am besten legen Sie sich einen Fragebogen an. Sie können die Antworten mit Noten bewerten, je nachdem ob Sie meinen, sie passen zur Stelle. So haben Sie schnell eine Bewerber*innen-Auswertung nach dem Interview.
- ABC-Liste zur Bewerber*innen-Auswahl. Diese kann direkt zu einem Interview führen oder erst ins Assessment Center, oder umgekehrt. C-Kandidat*innen werden im Talent-Pool gespeichert (wenn Einverständnis vorliegt)
- Persönliches Gespräch. Liste der Beteiligten nicht vergessen und Anforderungsprofil erstellen sowie eine Bewertungsmatrix
- Finale Entscheidung. Diese sollte zum einen auf den gewonnenen Daten basieren, zum anderen auf den persönlichen Einschätzungen der am Recruiting beteiligten. Heute kann Ihnen Software bei einem großen Teil dieser Entscheidungen helfen, aber am Ende wird es eine Person sein, die das finale OK gibt.