Eignungsdiagnostik im Recruiting: Verfahren, Einsatzfelder, Vor- und Nachteile, Praxisbeispiele

Zuletzt aktualisiert:
28
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2025
28.5.25
28/5/2025
28/5/2025
Minuten Lesedauer
Geschrieben von
Tania Miranda (DE)
Tellent
Mitwirkende
Ágota Tyro (DE)
Tellent
Mithilfe von Verfahren der Eignungsdiagnostik können Recruiter*innen bessere Personalentscheidungen treffen, die auf objektiven, messbaren Kriterien basieren.
Inhalt

Unter Eignungsdiagnostik versteht man den Einsatz verschiedener Verfahren, mit denen die Kompetenzen und Eigenschaften einer Person im Arbeitskontext beurteilt werden. Ziel ist es, die Eignung der Person für eine bestimmte Position möglichst objektiv und zuverlässig einzuschätzen. Zum Einsatz kommt die Eignungsdiagnostik vor allem im Rahmen der Personalauswahl – also im Recruiting – sowie in der Personalentwicklung.

Der große Vorteil: Mithilfe eignungsdiagnostischer Verfahren können Unternehmen nicht nur bessere Auswahlentscheidungen treffen, sondern auch Fehlbesetzungen aufgrund z. B. von Vorurteilen vermeiden. In diesem Artikel erklären wir, warum Eignungsdiagnostik im Recruiting eine zentrale Rolle spielt, welche diagnostischen Verfahren es gibt, wie und wo sie eingesetzt werden und welche Vor- und Nachteile sie mit sich bringen. Am Ende finden Sie außerdem Beispiele aus der Praxis sowie eine kompakte FAQ-Sektion mit den häufigsten Fragen zum Thema.

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Was ist Eignungsdiagnostik?

Was ist Eignungsdiagnostik?

Der Begriff Eignungsdiagnostik umfasst verschiedene Verfahren zur Beurteilung von Kompetenzen, Eigenschaften und Potenzialen einer Person im Arbeitskontext, insbesondere zur Unterstützung von Auswahl- und Entwicklungsentscheidungen.

Welche Rolle spielt Eignungsdiagnostik im Recruiting?

Eigentlich liegt es auf der Hand: Wer fundierte Entscheidungen bei der Personalauswahl treffen will, braucht verlässliche Informationen über die Eignung von Bewerber*innen. Genau das leistet die Eignungsdiagnostik.

Trotzdem lassen sich Führungskräfte und auch Recruiter*innen im Auswahlprozess immer wieder von Faktoren beeinflussen, die mit der beruflichen Eignung wenig zu tun haben, z. B. vom Foto in der Bewerbung: Nicht selten wird jemand zum Gespräch eingeladen, weil er*sie sympathisch oder interessant aussieht.

Wissenschaftlich fundierte eignungsdiagnostische Verfahren bieten viele Vorteile: Sie helfen, Unconscious Biases zu reduzieren, stellen Entscheidungen auf eine objektive Basis und verbessern dadurch sowohl die Quality-of-Hire als auch die Candidate Experience.

In Deutschland gibt es mit der DIN 33430 „Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik“ sogar eine eigene Qualitätsnorm. Sie gibt Entscheidungsträger*innen klare Kriterien an die Hand, um beurteilen zu können, ob ein Verfahren für den Einsatz im jeweiligen Auswahlprozess geeignet ist. Im nächsten Abschnitt sehen wir uns an, welche eignungsdiagnostischen Mittel und Verfahren überhaupt zur Auswahl stehen.

Welche eignungsdiagnostischen Verfahren gibt es?

Es gibt eine ganze Reihe eignungsdiagnostischer Verfahren, die je nach Zielsetzung, Position und Situation zum Einsatz kommen können. Sie lassen sich in drei Kategorien unterteilen: biografische, simulationsbasierte und psychometrische Verfahren.

  • Biografische Verfahren

Sie beruhen auf dem bisherigen Werdegang und den Erfahrungen der Bewerbenden. Ziel ist es, auf Grundlage vergangener Leistungen Rückschlüsse auf zukünftiges Verhalten zu ziehen. Typische Methoden sind die Auswertung von Lebenslauf und Zeugnissen, biografische Interviews und die Befragung früherer Vorgesetzter oder Kolleg*innen.

  • Simulationsbasierte Verfahren

Hier werden realitätsnahe Situationen geschaffen, in denen Kandidat*innen ihr Verhalten unter arbeitsähnlichen Bedingungen zeigen. Dazu zählen Rollenspiele, Arbeitsproben oder typische Assessment-Center-Übungen wie Gruppendiskussionen und Postkorbaufgaben. Sie ermöglichen die direkte Beobachtung des Verhaltens im beruflichen Kontext.

  • Psychometrische Verfahren

Dazu gehören in der Eignungsdiagnostik Tests, mit denen Eigenschaften der Bewerbenden wie kognitive Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale oder Interessen gemessen werden. Häufig eingesetzt werden Intelligenztests, Persönlichkeitstests (z. B. Big Five) und Tests zur Konzentrations- und Merkfähigkeit.

Was ist der trimodale Ansatz?

Das theoretische Fundament für die Einteilung in biografische, simulationsbasierte und psychometrische Verfahren liefert der trimodale Ansatz nach Schuler und Höft. Durch die Kombination von Verfahren aus allen drei Kategorien entsteht ein ganzheitliches Bild der Kandidat*innen. Dadurch können auch Beurteilungsfehler aufgrund von Wahrnehmungsverzerrungen minimiert werden. Der trimodale Ansatz zeichnet sich durch eine hohe prognostische Validität aus, das heißt: Er erlaubt eine besonders zuverlässige Einschätzung der Eignung einer Person.

Wo im Recruiting-Prozess werden eignungsdiagnostische Verfahren eingesetzt?

Bei der Personalauswahl spielen eignungsdiagnostische Verfahren durchgehend eine Rolle – von der ersten Sichtung bis zur finalen Entscheidung. Je nach Etappe kommen unterschiedliche Verfahren zum Einsatz, die jeweils spezifische Informationen über die Eignung der Bewerbenden liefern.

  • Vorauswahl und Screening

In der frühen Phase der Personalauswahl steht meist die Dokumentenanalyse im Vordergrund, also die Auswertung von Lebenslauf, Anschreiben und ggf. Zeugnissen. Auch wenn sie häufig als formaler Schritt wahrgenommen wird, zählt sie zu den eignungsdiagnostischen Verfahren. Oft wird die Zahl der Kandidat*innen mithilfe von psychometrischen Verfahren wie Online-Fragebögen oder Tests weiter eingegrenzt.

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Eine Analyse der Bewerbungsunterlagen ist wichtig, um die erste Hypothese zu erstellen, die Sie ins erste Gespräch mitnehmen. Beachten Sie dabei mögliche Bias. Denn ein persönliches Interview liefert zum Teil überraschende Einsichten. Sie haben beispielsweise einen Kandidaten, der jedes Jahr den Job wechselt. Ist es ein K.O. Kriterium? Oder lohnt es sich, nachzuhaken und der Kandidat war häufiger zur falschen Zeit am falschen Ort?
Ágota Tyro
Talent Acquisition Specialist | Tellent
  • Interviewphase

Im Bewerbungsgespräch selbst kommen in der Regel biografisch orientierte Verfahren zum Einsatz: Bewerbende werden zu früheren Erfahrungen, Erfolgen oder typischen Situationen befragt. Ergänzend werden oft simulationsbasierte Elemente eingebunden, etwa durch situative Fragen, Fallbeispiele oder auch durch das Anfertigen einer Arbeitsprobe oder Testaufgaben. Idealerweise erfolgt das Gespräch in strukturierter Form, da strukturierte Interviews nachweislich eine höhere Vergleichbarkeit und prognostische Validität bieten als freie Gespräche.

  • Finale Auswahl und Entscheidung

Bei der finalen Entscheidung stehen die bewertenden Personen häufig unter dem Eindruck der letzten Begegnung mit den Kandidat*innen. Dieses Phänomen ist als Recency-Effekt bekannt. Dabei werden frische Eindrücke überbewertet, während frühere Beobachtungen in den Hintergrund treten. Um dem entgegenzuwirken, sollten die Ergebnisse aller eingesetzten Verfahren systematisch zusammengeführt, verglichen und reflektiert werden. Besonders hilfreich ist es, die Beobachtungen im Team zu diskutieren. So können subjektive Eindrücke relativiert werden.

Die DIN 33430 empfiehlt bei der Auswahl eignungsdiagnostischer Verfahren darauf zu achten, dass ein klarer Bezug zum zuvor erstellten Anforderungsprofil besteht und dem entsprechenden Kriterium angemessen ist. Beispielsweise sollte das abstrakt-analytische Denkvermögen nicht in einem Interview abgefragt werden, da dieses Verfahren dafür ungeeignet ist. Psychometrische Intelligenztests wären hier das Mittel der Wahl.

Welche Vor- und Nachteile bieten eignungsdiagnostische Verfahren?

Eine Studie der Technischen Universität Kaiserslautern-Landau zeigt: Schon kleine Zusatzinformationen in Bewerbungen können unbewusste Stereotype aktivieren und zu diskriminierenden Entscheidungen führen, ungeachtet der tatsächlichen fachlichen Eignung. Genau hier setzen eignungsdiagnostische Verfahren an: Sie helfen, bewusste und unbewusste Vorurteile zu minimieren und Entscheidungen auf eine objektive Basis zu stellen.

Die Vorteile im Überblick:

  • Minimieren von Vorurteilen

Der Einsatz der richtigen eignungsdiagnostischen Verfahren hilft dabei, persönliche und subjektive Eindrücke zu relativieren und schafft eine objektive Entscheidungsbasis.

  • Fairere und transparentere Entscheidungen

Klare Bewertungskriterien und eine strukturierte Vorgehensweise sorgen für Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit – auch für Bewerbende.

  • Nachhaltiger Recruiting-Erfolg

Wer auf wissenschaftlich fundierte Verfahren statt auf Bauchgefühl setzt, senkt das Risiko von Fehlbesetzungen und damit langfristig auch die Fluktuation im Unternehmen.

Die Nachteile im Überblick:

  • Hoher Zeit- und Ressourcenaufwand

Die Entwicklung, Auswahl und Anwendung valider Verfahren erfordert methodisches Know-how, interne Abstimmung und oft zusätzliche Schulung, z. B. bei strukturierten Interviews oder Assessment-Formaten.

  • Negative Candidate Experience

Standardisierte Tests und strukturierte Verfahren können von Kandidat*innen als kühl und unpersönlich empfunden werden. Wichtig ist deshalb, transparent zu kommunizieren, warum bestimmte Verfahren eingesetzt werden, und gleichzeitig eine wertschätzende, offene Gesprächsatmosphäre zu schaffen.

  • Falsche Sicherheit durch Zahlen

So hilfreich eignungsdiagnostische Verfahren auch sind: Die Ergebnisse müssen immer kritisch hinterfragt und mit Sachverstand interpretiert werden. Die Persönlichkeit und Kompetenzen von Bewerbenden sind zu komplex, um sie allein auf Zahlen oder Skalen zu reduzieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorteile eignungsdiagnostischer Verfahren die Nachteile deutlich überwiegen, wenn sie fachgerecht und mit Augenmaß eingesetzt werden. Entscheidend ist ein ausgewogener Methodenmix, der sowohl wissenschaftliche Validität als auch eine positive Candidate Experience gewährleistet. Wie dieser Balanceakt in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigen die folgenden Beispiele aus verschiedenen Branchen.

Erfolgsgeschichten: Eignungsdiagnostik in der Praxis

Dass eignungsdiagnostische Verfahren viele Vorteile bieten, dürfte in der Theorie jedem einleuchten. Aber was lässt sich in der Praxis tatsächlich damit erreichen? Die folgenden Beispiele aus unterschiedlichen Branchen zeigen, wie Tests und andere Methoden zu messbaren Verbesserungen führen und welchen Mehrwert Unternehmen dadurch erzielen können.

  • Abbruchquote im Bewerbungsprozess gesenkt

Weil die Abbruchquote im Bewerbungsprozess für das Absolventenprogramm bei rund 50 % lag, beschloss der Technologiekonzern Fujitsu, den Prozess generalzuüberholen. Im Rahmen der Optimierung wurde ein Test eingeführt, der realistische Einblicke in Arbeitsalltag und Herausforderungen bei Fujitsu vermittelte. Das Ergebnis: Die Abschlussquote stieg um 18 %, und der Weg bis zum Video-Interview verkürzte sich auf durchschnittlich 60 Minuten.

  • Top-Performer*innen gezielt identifiziert

Ein Finanzdienstleister führte den Criteria Cognitive Aptitude Test (CCAT) ein, um die kognitiven Fähigkeiten von Kandidat*innen besser einschätzen zu können. Zuvor gab es Schwierigkeiten, die zukünftigen Leistungen im Rahmen der Personalauswahl zuverlässig vorherzusagen. Mit Einführung des Tests konnte das Unternehmen die Quote rekrutierter Top-Performer*innen deutlich verbessern.

  • Effizienz und Trefferquote optimiert

Um die Vorauswahl von Bewerbenden für das Traineeprogramm zu optimieren, führte die Deutsche Lufthansa AG ein 15-minütiges Online-Assessment bestehend aus sieben Minispielen ein. Durch die Analyse der Testergebnisse konnte Lufthansa mit einer Trefferquote von 96 % vorhersagen, welche Bewerbenden im weiteren Auswahlprozess als geeignet eingestuft wurden. Zudem verkürzte sich der Auswahlprozess um über 100 Minuten pro Bewerber*in.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass professionelle Eignungsdiagnostik weit mehr als ein Recruiting-Tool ist – sie ist ein strategischer Hebel für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Durch die systematische Anwendung wissenschaftlich fundierter Verfahren können Organisationen nicht nur die passenden Talente finden, sondern auch messbare Verbesserungen in Produktivität und Mitarbeiterbindung erzielen.

FAQ: Häufig gestellte Fragen zur Eignungsdiagnostik

Was versteht man unter Eignungsdiagnostik?

Der Begriff Eignungsdiagnostik umfasst verschiedene Verfahren, mit denen die Kompetenzen, Eigenschaften und Potenziale einer Person im Arbeitskontext beurteilt werden können. Diese Verfahren sind in der Regel wissenschaftlich fundiert, das heißt, ihre Aussagekraft und Zuverlässigkeit wurden in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen.

Was ist der trimodale Ansatz?

Der trimodale Ansatz unterscheidet drei Arten eignungsdiagnostischer Verfahren: biografische, simulationsbasierte und psychometrische Verfahren. Durch die Kombination dieser drei Bereiche lässt sich eine besonders hohe prognostische Validität erreichen, was bedeutet, dass sich so zuverlässige Vorhersagen zur Eignung einer Person machen lassen.

Was ist berufliche Diagnostik?

Unter beruflicher Diagnostik bzw. Eignungsdiagnostik versteht man die Anwendung psychologischer Methoden, um die Eigenschaften, Kompetenzen und das Potenzial einer Person im beruflichen Kontext beurteilen zu können. Diese Form der Diagnostik wird nicht nur in der Personalauswahl eingesetzt, sondern auch bei Potenzialanalysen, etwa im Rahmen der Berufsorientierung, Personalentwicklung oder Karriereberatung.

Welche eignungsdiagnostischen Verfahren gibt es?

Zu den eignungsdiagnostischen Verfahren zählt jede Methode, die Rückschlüsse auf Kompetenzen, Eigenschaften oder die Persönlichkeit einer Person zulässt, z. B.: die Analyse von Lebenslauf und Zeugnissen, das Führen von Interviews, das Auswerten von Arbeitsproben sowie das Durchführen von psychometrischen Tests wie Intelligenz-, Persönlichkeits- oder Leistungstests.

Ist Eignungsdiagnostik auch für KMU geeignet?

Ja! Auch und gerade kleine und mittlere Unternehmen können vom gezielten Einsatz eignungsdiagnostischer Verfahren profitieren. Denn häufig sind Personalkosten die größten Positionen. Eignungsdiagnostik hilft nicht nur dabei, den Recruiting-Prozess (kosten-)effizient zu gestalten, sondern auch teure Fehlbesetzungen zu vermeiden, die gerade bei kleineren Unternehmen mit begrenztem Budget zur Kostenfalle werden können.

Fazit: Lohnt sich Eignungsdiagnostik für Ihr Recruiting-Team?

Eignungsdiagnostik ist kein fancy Buzzword, sondern ein wichtiges Instrument für datenbasiertes, faires und nachhaltiges Recruiting. Mit den richtigen eignungsdiagnostischen Verfahren können HR-Teams und Führungskräfte fundiertere Entscheidungen treffen, Beurteilungsfehler reduzieren und Fehlbesetzungen vermeiden. Das zahlt sich nicht nur in Form von besserer Performance und Team-Fit aus, sondern stärkt auch das Vertrauen der Bewerbenden in den Auswahlprozess.

Gerade kleine und mittlere Unternehmen müssen keine komplexen Testsysteme einführen, um von Eignungsdiagnostik zu profitieren. Unser Tipp für alle, die bisher noch keine eignungsdiagnostischen Methoden nutzen: Beginnen Sie klein, z. B. indem Sie strukturierte Interviews in den Recruiting-Prozess aufnehmen. Diese Art des Interviews folgt einem strukturierten Ablauf und verbindet biografische, eigenschafts- und simulationsorientierte Gesprächsbestandteile. Durch diesen trimodalen Ansatz bietet es eine hohe prognostische Validität. In Tellent Recruitee können Sie einfach einen Bewertungsbogen anlegen und als Leitfaden für das Interview nutzen.

Sie möchten mehr darüber erfahren? Im Artikel zu strukturierten Interviews finden Sie Vorschläge zum Ablauf sowie einen Fragenkatalog.

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